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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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zu einem winzigen Gäßchen mit kleinen, dicht aneinandergedrängt stehenden Häuschen, schmalen Gärten und die Erkerfenster auf beiden Seiten der Straße nur wenige Fuß über der Erde, so daß sie sich fast berührten. Man glaubte in einer anderen Welt zu sein. Aber heute hatte ich keine Zeit, mich umzusehen, denn Mrs. Butterworth, untersetzt, mit rotem Gesicht und sehr aufgeregt, wartete auf mich.
    »Er ist hier drin, Mr. Herriot!« rief sie und stieß die Tür zu einem der kleinen Häuser auf. Sie führte direkt in das Wohnzimmer, und ich sah meinen Patienten mit leicht nachdenklichem Ausdruck auf dem Kaminvorleger sitzen.
    »Was ist passiert?« fragte ich.
    Die Frau rieb sich nervös die Hände. »Ich habe gestern eine große Ratte über den Hof laufen sehen. Daraufhin habe ich mir sofort Gift besorgt.« Sie schluckte erregt. »Ich hatte es gerade in einer kleinen Schüssel mit Haferbrei vermischt, da klopfte jemand an die Tür, und als ich zurückkam, hatte Timmy die Schüssel leergefressen!«
    Der nachdenkliche Ausdruck des Terriers hatte sich vertieft, und er fuhr sich langsam mit der Zunge über die Schnauze, als sei er sich nicht schlüssig, ob er schon jemals einen so seltsam schmeckenden Haferbrei zu sich genommen hatte.
    Ich wandte mich an Mrs. Butterworth. »Haben Sie die Büchse von dem Gift noch?«
    »Ja, hier ist sie.« Sie reichte sie mir mit zitternder Hand.
    Ich las das Etikett. Es handelte sich um ein bekanntes Gift, und der Name ließ eine Totenglocke in meinem Geist ertönen, denn er erinnerte mich an die vielen toten und sterbenden Tiere, die diesem Gift zum Opfer gefallen waren. Der Hauptbestandteil war Zinkphosphid, und trotz all unserer modernen Medikamente sind wir selbst heute für gewöhnlich machtlos, wenn ein Tier es geschluckt hat.
    Ich stellte die Dose auf den Tisch. »Wir müssen ihm sofort ein Brechmittel geben! Haben Sie Bleichsoda im Haus? Dann brauche ich keine Zeit damit zu vergeuden, irgendeine Medizin aus der Praxis zu holen. Ein Löffel voll genügt.«
    »O Gott!« Mrs. Butterworth biß sich auf die Lippen. »Ich habe so was nicht... gibt es nichts anderes, was wir...?«
    »Einen Augenblick!« Ich warf einen Blick auf den Tisch, auf dem noch die Reste des Mittagessens standen. »Ist in diesem Topf Senf?«
    »Ja.«
    Ich griff danach, hielt den Topf unter den Wasserhahn und verdünnte den Senf.
    »Kommen Sie!« rief ich. »Bringen wir ihn nach draußen.«
    Ich packte den erstaunten Timmy und beförderte ihn vor die Tür. Dann klemmte ich ihn mir fest zwischen die Knie, hielt ihm mit der linken Hand die Schnauze zu und goß ihm von der Seite her den flüssigen Senf ins Maul. Da er sich nicht rühren konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als das abscheuliche Zeug zu schlucken, und nachdem ich ihm etwa einen Eßlöffel voll eingeträufelt hatte, ließ ich ihn los.
    Ihm blieb nur Zeit, mich einen Augenblick lang beleidigt anzustarren, dann mußte er würgen und taumelte über die glatten Steine. Sekunden später hatte er die gestohlene Mahlzeit in einer stillen Ecke von sich gegeben.
    »Glauben Sie, das ist alles?« fragte ich.
    »Ja, ja, das ist es«, erwiderte Mrs. Butterworth entschieden. »Ich hole rasch Besen und Schaufel.«
    Timmy schlich mit eingezogenem Schwanz ins Haus zurück und nahm wieder seinen Lieblingsplatz auf dem Kaminvorleger ein. Er hustete, schnaubte und wischte sich unentwegt mit der Pfote übers Maul, doch der gräßliche Geschmack ließ sich nicht vertreiben; und ganz eindeutig betrachtete er mich als die Ursache des ganzen Übels. Als ich fortging, warf er mir einen Blick zu, mit dem er mir deutlich zu verstehen gab, daß er mir diese Tortur nie verzeihen würde.
    Irgend etwas in diesem Blick erinnerte mich an den kleinen Magnus, aber wenige Tage später erhielt ich den ersten Beweis dafür, daß Timmy sich nicht damit zufriedengab, seine Mißbilligung lediglich durch zorniges Kläffen auszudrücken. In Gedanken vertieft, ging ich die Trengate hinunter, da schoß plötzlich ein kleines weißes Etwas aus der Gimber’s Yard hervor, zwickte mich in den Knöchel und verschwand ebenso lautlos, wie es gekommen war. Ich sah nur einen Schatten durch den Torweg huschen, eine kleine Gestalt auf kurzen Beinen.
    Ich mußte lachen. Er hatte es also nicht vergessen! Aber es blieb nicht bei dem einen Mal, sondern es passierte häufiger, und mir wurde klar, daß der kleine Hund mir richtiggehend auflauerte. Er biß niemals fest zu – es war mehr eine Geste –, aber

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