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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Rinderschlachthöfe von innen zu sehen: sich als verdeckter Ermittlerhineinzuschmuggeln, und das braucht nicht nur mindestens ein halbes Jahr Vorbereitung, sondern kann auch lebensgefährlich werden. Die Beschreibung des Schlachtens, die ich hier liefere, stammt deshalb aus Augenzeugenberichten oder aus industrieeigenen Berichten. Ich werde versuchen, Schlachthofarbeiter so weit wie möglich mit ihren eigenen Worten von ihrem Arbeitsalltag berichten zu lassen.
    In seinem Bestseller The Omnivore’s Dilemma verfolgt Autor Michael Pollan das Leben eines in Massentierhaltung aufwachsenden Rindes, Nr. 534, das er persönlich erworben hatte. Pollan gelingt eine umfassende und genaue Schilderung industrieller Rinderaufzucht, doch er geht nicht so weit, sich ernsthaft mit der Schlachtung zu beschäftigen. Lieber wägt er die ethischen Probleme aus sicherer, abstrakter Entfernung. An diesem Punkt versagt seine oft hellsichtige und aufschlussreiche Unternehmung ganz grundlegend.
    »Die Schlachtung«, berichtet Pollan, war »das einzige Ereignis in seinem [Nr. 534] Leben, das ich nicht mit ansehen, über das ich nichts erfahren durfte außer dem voraussichtlichen Termin. Das überraschte mich nicht besonders. Die Fleischindustrie weiß, je mehr die Leute darüber wissen, was im Schlachthof geschieht, desto weniger Fleisch werden sie essen wollen.« Gut gesagt.
    Aber, fährt Pollan fort, »das liegt weniger daran, dass das Schlachten notwendigerweise unmenschlich geschieht, sondern dass die meisten von uns lieber nicht daran erinnert werden wollen, was Fleisch eigentlich genau ist und was alles geschehen muss, um es auf unseren Teller zu bringen«. Das kommt mir wie eine Mischung aus Halbwahrheit und Ausflucht vor. Pollan erklärt: »Konventionell produziertes Fleisch zu essen erfordert eine beinahe heldenhafte Anstrengung, nicht wissen oder, in meinem Fall jetzt, vergessen zu wollen.« Diese Heldentat ist aber genau deshalb nötig, weil man eben viel mehr als nur das Sterben der Tiere vergessen muss: nicht nur, dass Tiere getötet werden, sondern wie.
    Selbst bei den Autoren, die eigentlich großes Lob verdienen, weil sie die Massentierhaltung in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung gerückt haben, findet sich oft eine schale Verleugnung der wahren Schrecken, die wir anrichten. In seiner provokanten und oft brillanten Rezension von Pollans The Omnivore’s Di lemma erklärt B.R. Myers diesen weithin akzeptierten intellektuellen Trend:
    Die Technik funktioniert wie folgt: Man vertritt die gegensätzliche Ansicht, bis man sich in eine Ecke ma növriert hat. Dann lässt man das Thema einfach fal len und verdrückt sich, wobei man vorgibt, nicht etwa mit der eigenen Vernunft am Ende zu sein, sondern sie überwunden zu haben. Dass man die eigene Überzeu gung nicht mit Vernunftgründen in Einklang bringen kann, wird daraufhin als großes Geheimnis verklärt, und die demütige Bereitschaft, mit dem Unbegreifba ren zu leben, erhebt einen über niedere Geister und ihre billigen Gewissheiten.
    Das Spiel hat noch eine weitere Regel: Man darf nie, wirklich niemals zugeben, dass man praktisch die ganze Zeit die Wahl hat zwischen Grausamkeit und ökologischer Zerstörung auf der einen Seite und der Entscheidung, keine Tiere mehr zu essen, auf der anderen.
    Es ist tatsächlich nicht schwer zu verstehen, wieso die Fleischindustrie nicht einmal enthusiastische Fleischesser in die Nähe ihrer Schlachtanlagen kommen lässt. Selbst in den Schlachthöfen, wo die meisten Rinder einen schnellen Tod sterben, ist kaum ein Tag vorstellbar, an dem nicht zahlreiche Tiere (Dutzende? Hunderte?) ein unfassbar grauenhaftes Ende finden. Dass die Fleischindustrie sich an moralische Standards halten könnte, die den meisten von uns selbstverständlich scheinen (den Tieren ein gutes Leben und einen leichten Tod bieten, möglichst viel verwerten), ist nicht bloß ein schöner Traum, sie wäre dann allerdings nicht in der Lage, die ungeheuren Mengen billigen Fleisches pro Kopf zu liefern, die wir derzeit konsumieren.
    In einem typischen Rinderschlachthof werden die Tiere durch einen schmalen Gang in die Schussbox geführt – meist eine große, zylinderförmige Haltevorrichtung, woraus der Kopf hervorschaut. Der »Knocker« hält dem Rind ein großes pneumatisches Bolzenschussgerät zwischen die Augen. Der Stahlbolzen schießt in den Schädel und zieht sich dann ins Schussgerät zurück, das Tier wird normalerweise bewusstlos oder ist tot. Manchmal jedoch ist das

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