Tiere essen
sie keine Tiere hassen?
Traurigerweise kann man heute von den in der Tierhaltung be schäftigten Menschen immer weniger erwarten, dass sie traditio nelle ländliche Werte hochhalten. Viele der Menschen, die in städ tischen Tierschutzorganisationen arbeiten, sind – ob sie es wissen oder nicht – viel bessere Vertreter solcher Wertvorstellungen wie nachbarschaftlicher Respekt, Geradlinigkeit, Verantwortung für das Land und natürlich Achtung vor den Lebewesen, die ihnen an vertraut sind. Da sich die Welt so gründlich verändert hat, führen diese Werte eben nicht mehr zu den gleichen Entscheidungen wie früher.
Ich habe große Erwartungen an nachhaltigere Rinderfarmen mit ausschließlicher Grasfütterung, und auch die verbliebenen Familienbetriebe in der Schweinemast scheinen auf gesunden Füßen zu stehen, doch für die Geflügelindustrie hatte ich im Grunde alle Hoffnung verloren, bis ich Frank Reese und seine unglaubliche Farm kennenlernte. Frank und die Handvoll Farmer, denen er ei nige seiner Vögel gegeben hat, sind als Einzige in der Lage, vom Erbgut ausgehend eine Alternative zum bestehenden System der Putenfabriken zu entwickeln – und die wird dringend gebraucht.
Als ich mit Frank über die Hindernisse sprach, die sich vor ihm auftaten, wurde seine Verzweiflung angesichts eines halben Dut zends von Problemen deutlich, das sich nicht ohne merklichen Kapitalzufluss lösen lassen würde. Ebenso deutlich war, dass die Nachfrage nach seinem Produkt nicht nur bemerkenswert, son dern geradezu ungeheuer war – der Traum eines jeden Unterneh mers. Frank musste regelmäßig Bestellungen für mehr Vögel ab lehnen, als er in seinem ganzen Leben aufgezogen hatte, weil ihm einfach die Kapazitäten fehlten, die Nachfrage zu befriedigen. Die von mir gegründete Organisation Farm Forward bot ihm an, einen Geschäftsplan auszuarbeiten. Ein paar Monate später saßen un ser Geschäftsführer und ich mit dem ersten potenziellen Investor in Franks Wohnzimmer.
Dann machten wir uns an die diffizile Aufgabe, den beträchtli chen Einfluss der vielen Bewunderer von Franks Arbeit – Journa listen, Akademiker, Feinschmecker, Politiker – zusammenzubrin gen, ihre Energien zu bündeln, damit möglichst schnell Ergebnisse erzielt werden konnten. Die Expansionspläne wurden konkreter. Frank hatte seinen Truthähnen mehrere alte Hühnerrassen zuge sellt. Das erste einer ganzen Reihe dringend notwendiger neuer Ge bäude wurde errichtet, und er verhandelte mit einem großen Le bensmittelhändler über einen größeren Lieferkontrakt. Und dann wurde der Schlachthof, mit dem er zusammenarbeitete, aufgekauft und geschlossen.
Ehrlich gesagt hatten wir damit gerechnet. Dennoch bekamen es seine Partner – die Farmer, die viele der von ihm gezüchteten Vögel aufzogen und jetzt die Einnahmen eines ganzen Jahres zu verlieren drohten – mit der Angst. Frank kam zu dem Schluss, dass sich das Problem langfristig nur lösen ließe, wenn er eine Schlachtanlage baute, die ihm selbst gehörte; am besten einen mobilen Schlachthof, der auf jeder einzelnen Farm aufgestellt werden konnte, damit sich der Transportstress vermeiden ließe. Und natürlich hatte er recht.
Wir fingen also an, die ökonomischen und praktischen Vorausset zungen zu erarbeiten. Für mich war das Neuland – intellektuell sowieso, aber auch emotional. Ich hatte gedacht, ich würde mir bei der Arbeit ständig gut zureden müssen, um meinen Widerstand ge gen das Töten von Tieren zu überwinden. Doch was mir eher Un behagen bereitete, war mein mangelndes Unbehagen. Wieso, fragte ich mich andauernd, wird mir überhaupt nicht mulmig dabei?
Mein Großvater mütterlicherseits wollte eigentlich Farmer blei ben. Wie so viele andere wurde er aus dem Geschäft gedrängt, aber meine Mutter wuchs noch auf einem normal funktionierenden Hof auf. Der lag in einer Kleinstadt im Mittleren Westen, in ihrem Highschool-Jahrgang waren 40 Schüler. Eine Zeit lang hielt mein Großvater Schweine. Er kastrierte sie und sperrte sie sogar ein, es ging schon in die Richtung der heutigen Massenhaltung. Trotzdem waren es für ihn noch alles Tiere, und wenn eines krank wurde, kümmerte er sich besonders darum und versorgte es gut. Er zog kei nen Taschenrechner aus der Schublade und rechnete aus, ob es bil liger wäre, das Schwein einfach verrecken zu lassen. Schon der Ge danke wäre ihm unchristlich, feige, unanständig erschienen.
Dieser kleine Sieg der Barmherzigkeit über die Bilanzen ist als
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