Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
Vom Netzwerk:
konnten Fleisch, Milch und Eier billig produziert werden. In den vergangenen 50 Jahren, in denen die Massentierhaltung vom Geflügel auf Rinder, Milchkühe und Schweine erweitert wurde, ist der Preis für ein Eigenheim um fast 1500 Prozent gestiegen, für Autos um 1400 Prozent, aber Milch kostet nur 350 Prozent mehr, und der Preis für Eier und Hühnchenfleisch hat sich nicht mal verdoppelt. Wenn man die Inflation mit bedenkt, kostet tierisches Eiweiß heute weniger denn je. (Allerdings nur, solange man die externen Kosten nicht mit einrechnet – Landwirtschaftssubventionen, Umweltbelastung, Humankrankheiten und so weiter –, die den Preis auf ein historisches Hoch treiben.)
    Heute ist die Intensivhaltung bei allen Tieren die Regel – zu 99,9 Prozent bei Masthühnern, 97 Prozent bei Legehennen, 99 Prozent bei Puten, 95 Prozent bei Schweinen und 78 Prozent bei Rindern –, aber es gibt immer noch ein paar rührige Alternativen. In der Schweineindustrie kooperieren kleine Farmer, um weitermachen zu können. Nachhaltige Fischereiwirtschaft und Rinderzucht haben enorme Aufmerksamkeit in der Presse und einen wichtigen Marktanteil. Die Umwandlung der Geflügelindustrie allerdings – dem größten und einflussreichsten Zweig der Landwirtschaft (99 Prozent aller geschlachteten Landtiere sind Vögel) – ist so gut wie abgeschlossen. Es klingt unglaublich, aber möglicherweise gibt es in den USA tatsächlich nur noch einen einzigen unabhängigen Geflügelfarmer …

5.
Ich bin der letzte Geflügelfarmer
    Mein Name ist Frank Reese, und ich bin Geflügelfarmer. Das war ich schon mein ganzes Leben lang. Ich weiß nicht, woher das kommt. Ich bin auf eine kleine Landschule mit nur einem Klassenraum ge gangen. Meine Mutter sagt, einer meiner ersten Aufsätze hieß »Ich und meine Truthähne«.
    Ich fand sie schon immer schön, so erhaben. Ich finde es toll, wie sie stolzieren. Ich weiß auch nicht, ich kann das nicht erklären. Ich finde das Muster auf ihrem Gefieder wunderschön. Und ich mag ihre Persönlichkeit, schon immer. Sie sind so neugierig, so verspielt, so freundlich und so voller Lebensfreude.
    Ich kann nachts im Haus sitzen und sie hören und weiß sofort, ob es etwas Ernstes ist oder nicht. Nach 60 Jahren in der Gesellschaft von Puten kenne ich ihre Sprache. Ich weiß, wie es sich anhört, wenn bloß zwei Truthähne kämpfen, und wie es sich anhört, wenn ein Opossum im Stall ist. Sie machen ein bestimmtes Geräusch, wenn sie Angst haben, und ein anderes, wenn sie wegen irgendet was Neuem aufgeregt sind. Einer Mutterpute zuzuhören ist faszi nierend. Sie hat eine unglaubliche stimmliche Bandbreite, wenn sie mit ihren Küken spricht. Und die kleinen Küken verstehen sie. Sie kann ihnen zurufen »lauft und springt und versteckt euch unter meinem Gefieder« oder »geht mal hier rüber«. Puten kriegen alles mit, und sie können sich mitteilen – in ihrer Welt, in ihrer Sprache. Ich will ihnen keine menschlichen Eigenschaften zuschreiben, denn sie sind keine Menschen, sie sind Puten. Ich sage nur, was sie sind.
    Viele Leute fahren langsamer, wenn sie an meiner Farm vorbeikommen. Ich habe eine Menge Schulklassen und Kirchengruppen und kleine Kinder hier. Manchmal fragen mich Kinder, wie der Truthahn auf den Baum oder auf mein Dach gekommen ist. Ich sage ihnen: »Er ist dahin geflogen!« Und das glauben sie mir nicht. Früher wurden Millionen Puten in Amerika so auf der Weide gehalten. Jahrhundertelang hatte jeder diese Truthähne auf seinem Hof, und jeder hat sie gegessen. Und jetzt sind meine die einzigen, die noch übrig sind, und ich bin der Einzige, der sie so hält.
    Keine einzige Pute, die Sie im Supermarkt kaufen können, konnte normal gehen, schon gar nicht springen oder fliegen. Wussten Sie das? Sie können sich nicht mal fortpflanzen. Auch nicht die an tibiotikafreien, die Bioputen, die freilaufenden oder irgendwelche. Sie haben alle dieselbe idiotische genetische Ausstattung, mit ihrem Körperbau geht das einfach nicht mehr. Jede Pute in jedem Ge schäft und jedem Restaurant ist das Produkt künstlicher Befruch tung. Wenn es nur eine Frage der Effizienz wäre, wäre das die eine Sache, aber diese Tiere sind buchstäblich nicht mehr in der Lage, sich auf natürlichem Wege fortzupflanzen. Was soll denn daran nachhaltig sein?
    Diese Burschen hier, denen macht Kälte, Schnee, Eis nichts aus. Mit den modernen Industrieputen wäre das eine schöne Besche rung. Sie würden das nicht überleben. Meine Jungs kommen

Weitere Kostenlose Bücher