Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
anprobiert, und die Schachteln standen überall um ihn herum, auf dem Boden, auf den Stühlen. Aber die er haben wollte, waren nicht dabei, und da sagte er – vielleicht war es ihm unangenehm, dass ich so oft für ihn ins Lager laufen musste –, jedenfalls sagte er, er wolle mir helfen, sie in die Schachteln zurückzulegen. Dabei muss er dann einen schwarzen zu einem braunen gepackt haben, und als nur noch ein Schuh übrig war, ein schwarzer, in der letzten Schachtel aber ein brauner lag, mussten wir alle wieder aufmachen und umsortieren. Ihm war das sehr peinlich, und er hat sich entschuldigt.« Sie dachte eine Weile darüber nach. »An so etwas denkt sonst niemand. Die Leute probieren zehn, fünfzehn Paar Schuhe an, und dann gehen sie und sagen nicht mal danke. Ich fand es jedenfalls sehr nett, dass er mich so rücksichtsvoll behandelt hat.«
»Hat er Ihnen seinen Namen genannt?«
»Nein.«
»Oder etwas von sich erzählt, woran Sie sich erinnern?«
Jetzt lächelte sie. »Er hat gesagt, dass er Tiere mag.«
»Wie bitte?«, fragte Brunetti.
»Ja, das hat er gesagt. Während ich ihn bediente, kam eine Stammkundin herein. Eine sehr reiche Frau: Das erkennt man sofort – an ihrer Kleidung, an ihrer Ausdrucksweise. Und sie hat einen ganz süßen alten Hund aus dem Tierheim. Ich habe sie einmal danach gefragt, und sie sagte, sie hole sich ihre Hunde grundsätzlich aus dem Tierheim, und es müssten immer alte sein. Man würde erwarten, so eine reiche Frau hat eins von diesen widerlichen winzigen Viechern, so ein Schoßhündchen, oder einen Pudel. Aber sie hat diese komische Promenadenmischung, halb Beagle, halb ich weiß nicht was. Und sie liebt diesen Köter und er sie. Also scheint sie ein guter Mensch zu sein, auch wenn sie reich ist«, sagte sie, und Brunetti fragte sich, ob die Revolution näher bevorstehe, als er gedacht hatte.
»Und warum hat er gesagt, dass er Tiere mag?«, fragte Vianello.
»Er hat die Frau gefragt, wie alt der Hund ist, und als sie sagte, elf Jahre, fragte er, ob sie ihn schon auf Arthrose habe untersuchen lassen. Sie sagte, nein, noch nicht, und er sagte, so wie der Hund läuft, hat er wahrscheinlich Arthrose.«
»Wie hat die Frau reagiert?«, fragte der Ispettore.
»Oh, sie hat sich bedankt. Wie gesagt: Sie ist sehr nett. Und als sie gegangen war, habe ich ihn gefragt, und er sagte, er habe Tiere gern, besonders Hunde, und kenne sich ganz gut mit ihnen aus.«
»Sonst noch etwas?«, fragte Brunetti, dem das als Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen ziemlich dürftig erschien.
»Nein, nur dass er nett war. Das sind doch die meisten Leute, die Tiere mögen, finden Sie nicht?«
»Doch, das sehe ich auch so«, sagte Vianello. Brunetti begnügte sich mit einem Nicken.
Die Geschäftsführerin hatte immer noch mit den zwei Frauen zu tun; ein Meer von Schachteln und Schuhen hatte sich um die drei ausgebreitet. »Hat Ihre Kollegin mit ihm gesprochen?«, fragte Brunetti.
»O nein. Die hat sich um Signora Persilli gekümmert.« Da die beiden sie verständnislos anblickten, erklärte sie: »Die Dame mit dem Hund.«
Brunetti nahm eine Karte aus seiner Brieftasche und gab sie ihr. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, Signorina, rufen Sie mich bitte an.«
Sie gingen schon zur Tür, als sie ihnen nachrief: »Dann ist es wirklich er, der umgekommen ist? In Venedig?«
Brunetti war selbst von der Offenheit überrascht, mit der er antwortete: »Ich denke schon.« Sie presste die Lippen zusammen und schüttelte traurig den Kopf. »Wenn Ihnen also noch etwas einfällt, rufen Sie uns bitte an; es könnte helfen«, wiederholte Brunetti.
»Ich würde gern helfen«, sagte sie.
Brunetti dankte ihr noch einmal und verließ mit Vianello das Geschäft.
14
»Ein Madelung-Kranker, der Tiere mag und sich mit Hunden auskennt«, sagte Vianello, als sie zum Wagen gingen.
Brunetti dachte schon weiter: »Wir sprechen mit Vezzani. Inzwischen müsste er aus Treviso zurück sein.« Er hatte sich von dem Besuch des Schuhgeschäfts wesentlich mehr erhofft, ja er hatte erwartet, dort Aufschluss über die Identität des Toten zu erhalten. Jetzt war es ihm ziemlich peinlich, wie er sich darauf gefreut hatte, mit dem Namen des Toten in der Tasche in Vezzanis Büro zu marschieren. Nun blieb ihnen nichts anderes mehr übrig als das, was sie besser gleich als Erstes getan hätten: mit den Kollegen der Questura in Mestre zusammenzuarbeiten.
Er nahm auf dem Vordersitz des Wagens Platz und bat den Fahrer, sie zur
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