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Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Titel: Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Inhaber brachte den Salat: in hauchdünne Scheiben geschnittene Artischocken und eine Vielzahl winzige, mit Ingwerflocken bestreute Krabben.
    »Wenn niemand im Laden ihn erkennt, bitten wir die Jungs in Mestre um Unterstützung«, sagte Brunetti.
    Vianello spießte nickend ein paar Krabben auf.
    »Ich rufe Vezzani an und sage ihm, wir melden uns bei ihm nach dem Schuhgeschäft«, sagte Brunetti und zückte sein Handy.
    Brunetti hatte immer gedacht, wenn Mestre nicht sein kleines, aber feines Zentrum hätte, würde jeder Venezianer, der dort hinziehen müsste, über die Ungerechtigkeit des Schicksals klagen. Bei Aristoteles bemisst sich die Tragik nach der Fallhöhe. Könige wurden zu blinden Bettlern; Königinnen ermordeten ihre Kinder; die Mächtigen starben für unerreichbare Ziele oder gerieten in äußerstes Elend. Wäre Mestre ein Slum oder bestünde es nur aus Wolkenkratzern mit nichts dazwischen, ähnelte es eher Mailand als Venedig, dann wäre die Notwendigkeit oder die freie Entscheidung, von Venedig dort hinzuziehen, in der Tat Stoff für eine Tragödie. Das Stadtzentrum jedoch – wenngleich es den Umzug immer noch schmerzlich, ja herzzerreißend traurig erscheinen ließ – verhinderte, dass die Sache als ganz und gar tragisch angesehen werden musste.
    Das Schuhgeschäft war ebenso elegant wie sein Zwilling in Venedig, das Sortiment identisch. Auch die zwei Verkäuferinnen waren vergleichbar: eine Ältere, vermutlich die Chefin, und eine Jüngere, die sie mit einem Lächeln begrüßte. Brunetti, der nicht gegen die Rangordnung verstoßen wollte, ging auf die Frau zu, die er für die Geschäftsführerin hielt, und stellte sich vor. Sie schien wenig überrascht, offenbar hatte man sie aus Venedig telefonisch vorgewarnt.
    »Ich möchte Sie und Ihre Kollegin bitten, sich ein Foto anzusehen und mir zu sagen, ob Sie den Mann darauf erkennen.«
    »Sie waren auch schon in unserer anderen Filiale?«, fragte die Jüngere, die sich dazugesellt hatte; die Bemerkung brachte ihr einen scharfen Blick ihrer Vorgesetzten ein.
    »Ja«, antwortete Brunetti. »Und dort haben wir erfahren, dass der Mann seine Schuhe eigentlich hier bei Ihnen kaufen wollte, Sie aber nicht die richtige Größe vorrätig hatten.« Er wusste, dass sie wussten, dass es sich bei dem Mann um den Toten im Kanal handelte, und da sie wussten, dass er das wusste, sagten sie beide nichts.
    Die Ältere, dünn bis zur Auszehrung und mit einem Busen ausgestattet, den sie nicht unbedingt aus den Händen der Natur empfangen haben mochte, bat um das Foto. Folgsam reichte Brunetti es ihr. »Ja«, sagte sie, nachdem sie sich das Foto des Toten angesehen hatte. Dann gab sie es der Jüngeren und verschränkte die Arme unter der Brust.
    Beim Anblick des Toten sagte die junge Frau: »Ja, der war ein paarmal hier. Letztes Mal vor ungefähr zwei Monaten.«
    »Haben Sie ihn bedient, Signorina?«, fragte Brunetti.
    »Ja, das habe ich. Aber seine Schuhgröße fehlte, und etwas anderes wollte er nicht.«
    Brunetti wandte sich an die Ältere: »Erinnern Sie sich an ihn, Signora?«
    »Nein, überhaupt nicht. Wir haben so viele Kunden«, sagte sie, und tatsächlich betraten in diesem Augenblick zwei Frauen das Geschäft, beide mit Einkaufstüten beladen. Ohne sich groß zu entschuldigen, ging die Chefin hinüber und fragte, ob sie ihnen helfen könne.
    Brunetti fragte die junge Frau – eigentlich fast noch ein Mädchen: »Erinnern Sie sich genauer an diesen Mann? Sie sagten doch, er war öfter hier?«
    Brunetti setzte immer noch darauf, dass der Mann etwas per Kreditkarte bezahlt haben könnte. Die junge Frau überlegte kurz. »Ein paarmal«, sagte sie. »Einmal war er hier und hat dasselbe Modell Schuhe gekauft, das er schon anhatte.«
    Brunetti sah zu Vianello, dem es oft besser gelang, Leute zum Reden zu bringen. »Erinnern Sie sich an irgendetwas Besonderes, Signorina? Ist Ihnen etwas an ihm aufgefallen?«, fragte der Ispettore.
    »Meinen Sie, dass er so dick geworden ist und immer so traurig war?«
    »War er das?«, fragte Vianello mit tiefem Mitgefühl.
    Sie schien ernsthaft nachzudenken, bevor sie antwortete. »Ja, er hatte zugenommen. Das konnte ich sehen, trotz seiner Winterjacke, und eigentlich hat er nichts gesagt, woraus man schließen könnte, dass er einsam oder traurig war. Aber er wirkte so; irgendwie in sich gekehrt, als wäre er gar nicht richtig bei der Sache.« Sie versuchte das deutlicher zu erklären: »Einmal hat er ungefähr acht Paar Schuhe

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