Tierische und andere Offerten
erfasste ihren starren Körper und mit aufgerissenen Augen sah sie in einiger Entfernung einen Bären aus dem Feld emporragen.
Benommen griff sie mit der Hand nach einem Bündel Halme und versuchte sich aufzurichten, doch die Schwäche kroch wie schwerer Dunst durch ihren Körper und hielt sie fest an den Boden gedrückt. Sie kniff die Augen zu und versuchte durch heftiges Atmen, sich dem Einfluss dieser Schwere zu entziehen. Als auch das nicht gelang, fuhr ein zorniges Stöhnen aus ihrer Brust. Wütend riss sie die Augen auf und war gerade im Begriff ihre Ohnmacht herauszuschreien, da gefror ihr Blick zu Eis. Das Bündel Halme in ihrer Hand begann sich aufzulösen. Es wurde zarter, schmolz langsam dahin und verschwand schließlich im Nichts. Und was noch merkwürdiger war – sie fühlte sich leicht und unbeschwert, selbst die Geräusche des Lebens drangen nur noch gedämpft an ihr Ohr. »Wie ist ... das möglich?«, hörte sie sich stockend fragen und blickte gebannt auf ihre leere Hand, die ihr fremd vorkam, als wäre es nicht die ihre. Miranda war so unheimlich zumute, dass sie sich ängstlich umsah. Aber was sich da vor ihren Augen auftat, hatte sie noch nie gesehen. Die Landschaft verschwamm hinter den dunstigen Wänden einer wabernden Blase. Und sie, sie lag mitten drin.
Nichts war mehr an dem Ort, wo es vorher gestanden hatte. Selbst der Schmerz, der ihren Körper Sekunden vorher noch durchbohrt hatte, war verschwunden.
Hab ich mein Leben verwirkt? Mehr konnte sie nicht denken. Das plötzliche Verlangen, sich fallen zu lassen und in dem seltsamen Etwas, das sie umgab, für immer zu verweilen, war stärker. Der Ohnmacht nahe sank ihr Kopf zu Boden, die Hände entglitten ihrem Willen und fielen zwischen die Halme.
Die verneinende Antwort aber kam unmittelbar. Sie drang so klar und vehement in ihr Bewusstsein, dass sie aufschreckte und augenblicklich wieder zu sich fand. Ihre Augen standen weit offen und der Blick eines ängstlichen Kindes verdunkelte ihr Gesicht. Sie starrte auf den Bären, dessen Gestalt im dunstigen Licht der Blase immer klarer zum Vorschein kam. Sein Maul war blutverschmiert und mit den Überresten des Wolfes behaftet. »Du willst mich töten?«, fragte sie mit schwerer Zunge und schob sich rückwärts mit den Händen ängstlich von ihm weg.
»Aber nein«, entgegnete der Bär ruhig und wischte sich mit der Pranke übers Maul. »Hab keine Angst! Der Bastard hier ...« Er klopfte sich genüsslich auf den feisten Bauch. »... wird für heute genügen.«
»Wieso ... kannst du reden?« Miranda lachte gequält und fast steif vor Angst.
»Das können alle von meiner Art! Warum auch nicht? Ihr Menschen könnt es doch auch.«
»Dann bist du die Bärin, über die mein Vater so viel spricht und an die er glaubt, wie an einen Gott?« Ein sanftes, unverständliches Brummen drang an ihr Ohr, während der Bär auf seine Pfoten fiel und langsam auf sie zukam. »Und nun rettest du mein Leben vor diesem Wolf?« Miranda streckte ihren Körper flach auf den Boden und schloss die Augen. Sie spürte den faulen Atem des Bären und das weiche Fell in ihrem Gesicht. »Oder ist das der Preis, den ich für meinen Ungehorsam bezahlen muss?« Ihre Hand sank tief in das dichte Fell und sie fühlte das kräftig pochende Herz. Abrupt schlug sie die Augen auf. Die Zunge der Bärin fuhr aus dem Maul und strich sanft über Mirandas Gesicht.
»Den Preis deines Ungehorsams trägst du in dir. Nur deshalb bin ich gekommen. – Das neue Leben wird deinen Vater besänftigen, es wird ihn lehren, deine Sehnsüchte und Wünsche zu beachten, es wird eure Dörfer vereinen und Frieden in die Hütten bringen.« Die Bärin wandte sich ab, trat an die Innenwand der Blase und sah noch einmal zurück. So, als wäre sie mit sich zufrieden.
Mirandas Gesicht strahlte indes vor Glück. Sie sah der Bärin nach, während sie sich sanft über den Bauch strich. »Geh nur, Bärin! Geh!«, flüsterte sie mit leuchtenden Augen. »Von heute an ist dies auch meine Welt und mein Glaube ... Und der meines Kindes.« Die Gestalt der Bärin verschwand und die Gerüche der Erde kehrten zurück. Düsternis verdunkelte Mirandas Augen und aus weiter Ferne hörte sie plötzlich ihren Namen.
Mühsam drehte sie den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam, doch ihr Blick verschwamm zwischen den Halmen. Sie wusste nicht, ob sie lebte oder längst im Nirwana weilte. Versonnen lauschte sie dem fernen Klang der Stimme, die ihr vertraut schien und die
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