Tiffany Duo Band 0124
“Okay. Ich habe kein Recht, deine Beweggründe zu hinterfragen.”
“Genauso wenig wie ich deine.”
“Du hast gesagt, da sei noch mehr. Was gibt es noch außer der Tatsache, dass ich ein mutmaßlicher Mörder und Drogendealer bin?”
“Ich habe dir gesagt, dass ich das nicht glaube.”
“Ja, das hast du.”
Tess setzte sich neben ihn auf die Couch. “Es geht um die Nacht, in der ich dich ins Krankenhaus gebracht habe. Dort gibt es keinen Hinweis auf deine Einlieferung. Oder dass überhaupt irgendjemand mit einer Schusswunde eingeliefert wurde. Erinnerst du dich an die Krankenschwester, die deine Personalien aufgenommen hat? Sie ist am nächsten Tag in Urlaub gegangen, und der Chirurg, der dich operieren sollte, wurde wieder abbestellt mit der Erklärung, dass du in ein anderes Krankenhaus verlegt worden wärst.”
“Dann ist also der Rest meines Lebens auch noch ausradiert.” Er ließ sich in die Polster zurücksinken. “Wie ist das möglich?”
Sie schüttelte den Kopf. “Vielleicht hat man ja jemand aus dem Krankenhaus bestochen.”
“Die Schlinge zieht sich zu”, sagte er trocken.
Tess lächelte matt. “Und noch etwas. Gil vermutet, dass du in der Armee warst. Im Golfkrieg. Die Tätowierung auf deinem Arm ist wahrscheinlich das Emblem einer Spezialkampftruppe. Der SEALS. Klingelt’s da bei dir?”
Wie ein Schwall kaltes Wasser schwappten Bilder von menschlichen Körpern über ihn hinweg, die durch Sand und Dunkelheit unter einem Gewirr von spitzen Drähten hindurchrobbten, und gleich darauf hörte er seine eigene Stimme, die heiser durch den ohrenbetäubenden Lärm von Detonationen schallte: “Absetzen! Zurückfallen!” Und die Schreie von Männern unter einem von Explosionen erhellten Nachthimmel. Und dann war es fort.
Jack spürte das Hämmern seines Herzens und hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Das war kein Klingeln, das war eine verdammte Kanonade.
“Was ist?”, drang Tess’ Stimme durch das Rauschen in seinen Ohren. “Erinnerst du dich an etwas?”
“Ja”, sagte er aufgewühlt. “Ja.” Er biss die Zähne zusammen, stand auf und ging zum Fenster. “Bruchstücke. Bilder. Nichts Zusammenhängendes. Nichts …”, er wandte sich zu ihr um, “… Reales.”
Sie war neben ihm, berührte seinen Arm. “Es ist real”, sagte sie. “Du kannst die Teile nur noch nicht zusammensetzen. Lass dir Zeit.”
“Zeit?”, knurrte er. Seine Hände umschlossen plötzlich ihre Unterarme, seine Finger gruben sich in ihr Fleisch. “Diesen Luxus kann sich keiner von uns leisten. Ich muss es jetzt wissen. Verstehst du das?”
“Ja.”
Ihre Stimme klang dünn und ängstlich.
“Schau”, sagte sie langsam. “Ich verstehe, dass du enttäuscht und wütend bist, und du hast jedes Recht dazu. Aber, Jack …”
Er schlug mit der Hand gegen den Fensterrahmen und drehte sich zu ihr um. “Was heißt hier Jack? Jack existiert nicht. Ich bin nicht Jack. Ich bin ja nicht einmal
ich
!”
Sie trat so dicht vor ihn hin, dass er ihr nicht ausweichen konnte. “Hör zu”, sagte sie fest. “Du musst Geduld haben, deine Erinnerung wird zurückkommen, wenn die Zeit reif ist. Du kannst den Prozess nicht beschleunigen, im Gegenteil, wenn du dich aufregst, dauert es womöglich nur noch länger.”
Er gab ein verärgertes Brummen von sich.
“Und um dich ein bisschen abzulenken, machen wir heute Abend einen Ausflug”, fuhr sie entschieden fort.
“Einen Ausflug?” Das konnte sie nicht ernst meinen.
“Ja, ganz recht. Aber erst nach dem Essen, natürlich. Du brauchst eine kleine Luftveränderung. Du hast einen Hüttenkoller.”
“Ich weiß nicht. Vielleicht ist es doch nicht so eine gute Idee …”
“Entweder du vertraust mir, oder du vertraust mir nicht, Jack.”
9. KAPITEL
Bei Einbruch der Dämmerung machten sie sich auf den Weg. Der von Bergen eingerahmte See, auf dem sich während des Tages Boote und Touristen tummelten, lag jetzt still und verlassen da. Der Halbmond stieg wie eine zerbrochene Münze über dem schwarzen Wasser auf. Tess’ Paddel zerschnitt die glänzende Wasseroberfläche, während sie Caras altes Birkenkanu auf die Seemitte zusteuerte.
Jack saß im Bug des Kanus gegen Kissen gelehnt und beobachtete sie.
“Sollte es nicht eigentlich andersherum sein?”, fragte er mit gerunzelter Stirn. “Dass ich die Arbeit mache und du den Blick genießt?”
“Da würden wir aber mit deiner Schulter nicht weit kommen, oder was meinst du? Davon abgesehen macht es mir
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