Tiffany Duo Band 0147 (German Edition)
vor ihr aufgetan hatte, wenn sie mit ihrer Zeit nicht etwas anderes anfing, als Cynthias Klagen anzuhören und an Spendenessen oder Wohltätigkeitsveranstaltungen teilzunehmen. Das Leben ihrer Schwiegermutter war nicht ihres und würde es auch nie sein.
Deshalb hatte sie die Stelle bei “Riches and Rags” angenommen. Jordan liebte gute Kleidung und interessante Accessoires, und dieser Job war ein erster Schritt in eine wie auch immer geartete Zukunft, ein Blick nach vorn statt zurück. Auch wenn Cynthia es nicht verstand, würde Jordan in diesem Punkt nicht nachgeben.
“Heute Abend kommt Monsignore Larsen zum Essen”, teilte die ältere Frau ihr jetzt mit. “Er wird in einer halben Stunde hier sein.”
Das hatte Jordan ganz vergessen. Ihr entspannendes Bad und die Zeit für sich allein lösten sich in Luft auf. “Ich werde fertig sein.”
Während Cynthia mit ihrem üblichen verächtlichen Schnauben wegging, nahm ein mit Blockbuchstaben an sie adressierter Umschlag Jordans Aufmerksamkeit gefangen. Ein Absender stand nicht drauf.
Neugierig öffnete sie den Umschlag. Er enthielt ein zusammengefaltetes Blatt Papier, in dem ein Foto steckte. Es war ein unscharfes Polaroidfoto, das ein Kind auf einer Schaukel zeigte.
‘Kommt Ihnen dieses Kind bekannt vor?’ Der Brief war ebenfalls in Blockbuchstaben geschrieben. ‘Könnte dies Ihr Sohn sein? Gibt es eine Belohnung für mehr Information? Bitte sagen Sie zu niemand etwas. Dies geht nur Sie und mich etwas an. Wenn Sie die Polizei einschalten, können Sie die Sache vergessen. Dann werden Sie Michael nie wiedersehen. Sie hören von mir.’ Der Brief war unterschrieben mit ‘Ein Freund’.
Jordan schaute sich das Foto genauer an und spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann. Das Kind war noch klein, vielleicht zwei oder drei Jahre, und hatte ein scheues Lächeln. Unglaublich, dachte sie, und presste sich eine Hand auf ihr hämmerndes Herz. Das Kind sah wirklich aus wie Michael.
Aber das war unmöglich. Michael war tot.
Schmerz stieg in ihr auf, ein Schmerz, der ihr so vertraut war, als ob er sie schon ihr ganzes Leben lang begleitete. Sie starrte auf das Foto. Das Bild war unscharf, aber irgendetwas in ihr schrie auf. Michael? Konnte es doch sein?
Sie hielt den Brief fest an ihre Brust gedrückt, während sie die Marmorhalle durchquerte und die Treppe nach oben in ihre Schlafzimmersuite ging. Dort lehnte sie sich gegen die geschlossene Tür, versuchte sich einen Moment lang zu beruhigen, dann zog sie das Foto wieder aus dem Umschlag. Wie ist das möglich, fragte sie sich immer wieder, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Es war nicht möglich.
Das konnte nur ein böser Scherz sein. Noch Monate nach Michaels Tod hatte sie Briefe und Anrufe von Verrückten bekommen, die behaupteten, sein Tod wäre Gottes Strafe für ihre Sünden. Manche hatten ihr angeboten, spirituelle Sitzungen abzuhalten. Wohlfahrtsorganisationen hatten um Spenden in Michaels Namen gebeten. Reporter hatten jeden ihrer Schritte verfolgt, jeden Atemzug aufgezeichnet. Michaels Tod hatte aufgehört, ihr privater Verlust zu sein – er war eine öffentliche Angelegenheit geworden.
Und dieser Brief war bestimmt wieder von so einem Verrückten. Er bedeutete nichts. Das Foto bedeutete nichts. Sie warf es auf dem Weg ins Bad auf ihre Frisierkommode. Sie zog sich aus und ging unter die Dusche, in der Hoffnung, dass das warme Wasser ihr helfen würde, sich zu entspannen.
Ihre Gedanken kehrten jedoch immer wieder zu dem unscharfen Foto zurück, zu diesem Lächeln, das so viel Ähnlichkeit mit Michaels Lächeln hatte. Obwohl es natürlich nicht ihr Sohn war, er konnte es gar nicht sein. Jordans Bild war in der vergangenen Woche immer wieder in den Zeitungen gewesen, das was alles. Und diese Tatsache hatte irgendwem in seiner grausamen Verdrehtheit als Auslöser gedient.
Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, setzte sie sich vor ihre Frisierkommode und fuhr sich mit den Fingern durch ihr nasses Haar. Dabei kehrten ihre Gedanken unwillkürlich zu dem Foto zurück. Michael? Am Leben? War das möglich?
‘Bitte sagen Sie zu niemand etwas’, stand in dem Brief. ‘Niemand’ war unterstrichen.
Aber wie hätte sie das anstellen sollen? Sie hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Sie musste einfach mit irgendwem darüber sprechen, und wenn auch nur, um Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Doch mit wem? Ihr Bruder und sie standen sich nicht besonders nah. Ihre Eltern waren tot. Freunde? Eine
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