Tiffany Duo Band 0162
egoistisch vor, dass er sich wünschte, er könnte sich vormachen, dass es nie passiert war, nur weil er sich nicht sicher war, ob er es aushalten konnte, davon zu hören.
Davon abgesehen spürte er, dass sie es ihm erzählen musste.
“Es könnte uns bei unseren Ermittlungen helfen, falls sich dieser Kerl wirklich hier in der Stadt herumtreibt.” Er gab sich alle Mühe, so ruhig wie möglich zu sprechen.
Sie saß einen Moment schweigend da, die Hände fest im Schoß gefaltet. Die einzigen Geräusche im Haus waren Daisys schnaufende Atemzüge und das Knistern des Feuers im Kamin. Dann sprach sie.
“Ich habe dir schon von meiner dritten Klasse in Chicago erzählt. Lauter Acht- und Neunjährige. Beatrice DeSilva gehörte zu meinen Lieblingsschülerinnen, obwohl ich weiß, dass Lehrer eigentlich keine Lieblingsschüler haben sollten. Sie hatte wunderschöne lange, glänzende Zöpfe und das süßeste Lächeln, das man sich vorstellen kann.”
Das wehmütige Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte, brach ihm fast das Herz. “Eines Tages – es war auf dem Schulhof in der Pause – sagte ich ihr, dass sie ihre Handschuhe anziehen soll. Es war wirklich bitterkalt, mit einem eisigen Wind, der vom Fluss heraufkam.”
Ihre Stimme klang plötzlich, als wäre sie ganz weit weg. “Ich sehe es immer noch wie in Zeitlupe vor mir. Bea zog folgsam ihre Handschuhe aus ihrer Tasche, und dabei fiel noch etwas anderes heraus und landete auf dem Boden. Ein Päckchen, das, wie sich gleich darauf herausstellte, kleine Briefchen mit einem weißen Pulver enthielt.”
“Kokain?”
Sie schüttelte den Kopf. “Heroin. Straßenverkaufswert ungefähr zweitausend Dollar.”
Kinder in der dritten Klasse sollten nicht einmal wissen, was Heroin ist, geschweige denn, es zusammen mit ihren Handschuhen in ihren Taschen herumtragen. Jesse war angewidert, aber nicht wirklich überrascht. Leider hatte er schon Schlimmeres gesehen und gehört. “Was hast du getan?”
“Bea weinte und war völlig aufgelöst, weil ich die Drogen gesehen hatte. Ich nahm sie mit ins Klassenzimmer und versuchte sie dazu zu bringen, mir alles zu erzählen. Ich habe noch nie ein Kind gesehen, das solche Angst hatte.” Sarah faltete fest ihre Hände. “Schließlich brachte ich aus ihr heraus, dass sie von ihrem älteren Bruder Tommy – er war achtzehn – manchmal als Drogenkurier missbraucht wurde, das heißt, sie musste seinen Kunden kleinere Lieferungen überbringen. Er zwang sie dazu, indem er drohte, dass er es an ihrem kleinen Bruder auslassen würde, wenn sie sich weigerte.”
Sie räusperte sich, bevor sie fortfuhr: “Bea hätte die Drogen an diesem Morgen vor der Schule abliefern sollen, aber sie war zu spät dran und wollte nicht zu spät zum Unterricht kommen, deshalb hat sie es nicht getan. Andernfalls hätte ich es nie herausgefunden.”
Sarah presste die Lippen aufeinander, und er sah die Schlagader an ihrem Hals pochen. “Ich war unheimlich wütend. Sie war doch noch ein Kind. Ein süßes kleines Mädchen, das Angst um den kleinen Bruder hatte. Ich meldete es sofort der Polizei. Bea und ihr kleiner Bruder wurden der Familienfürsorge übergeben, während die Polizei nach Tommy suchte.”
“Ohne Erfolg?”
“Oh, nein, sie fanden ihn.” Ihr Lächeln war bitter. “Er wurde festgenommen, aber bereits sechs Stunden später auf Kaution wieder freigelassen.”
“Und dann kam er zu dir, um sich zu rächen.” Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Ihre Schultern unter dem Morgenrock bebten nur ein bisschen, als sie erschauerte. “Er brach nachts durch ein Fenster in mein Klassenzimmer ein und wartete, bis ich am nächsten Morgen in die Schule kam.”
Und dann erzählte sie, wie er über sie hergefallen war. Wie er sie zusammengeschlagen hatte – mit seiner Pistole, einem Stuhl, seinen Fäusten.
“Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, aber es waren wahrscheinlich nur ein paar Minuten. Schließlich hörte ich auf mich zu wehren, weil ich schon halb ohnmächtig war. Da hat er mich dann … vergewaltigt und anschließend ist er gegangen. Ich war wie erstarrt vor Angst, weil ich glaubte, er würde zurückkommen, aber nach ein paar Minuten schaffte ich es irgendwie, auf den Flur zu kriechen, wo mich dann die Putzfrau fand.”
Sie machte eine Pause. “Ich erinnere mich noch, wie froh ich war, dass mich wenigstens meine Schüler nicht in diesem Zustand sehen mussten.”
Diesmal brach ihm ihr kleines Lächeln wirklich das Herz. Er spürte,
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