Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
Händen und wandte sich an die Anwesenden. „Wenn mich die Herrschaften entschuldigen würden? Ich wechsle besser die Kleidung.“ Christopher nickte allen kurz zu und zog sich ins Haus zurück.
Anna stand verdattert da. Den heißen Tee über Christopher auszuschütten, war eine impulsive Handlung gewesen. Er hatte sie mit feurigem Blick angestarrt, sodass sie sich entblößt gefühlt hatte. Seine Miene hatte die Glut in ihrem Bauch wiederbelebt, und Anna erkannte, dass zwischen ihr und Christopher mehr als verwandtschaftliche Bande bestanden.
Eine einzige verhängnisvolle Begegnung bei Almack’s hatte offenbar ausgereicht, um sie für immer für Christopher zu entflammen. Er weckte in ihr Bedürfnisse, die alles andere als gesellschaftstauglich waren. Und als das Schlimmste an der Sache erwies sich, dass sie die letzten Überlebenden ihrer Familie waren. Sie würden aneinandergebunden sein. Das und Christophers skandalöser Vorschlag, der Anna auf das Tiefste beleidigte, sorgten dafür, dass ihr Verstand sich kurzzeitig verabschiedet hatte. Sie schämte sich entsetzlich und wagte kaum, sich den anderen zuzuwenden, weil ihr Gesicht gewiss rot wie eine Hagebutte leuchtete. Sie legte ihre Hände auf die erhitzten Wangen.
„Kommen Sie, Anna, setzen Sie sich zu uns. Nach dem Schrecken brauchen wir alle frischen Tee“, erklang die freundliche Stimme von Lady Winchester hinter Anna.
Langsam drehte Anna sich um, doch bis auf Victors Lippen, die sich belustigt kräuselten, und Georginas hochrotes Gesicht, wirkten die am Tisch Sitzenden gelassen, als ob nichts geschehen wäre. Anna setzte sich und ließ zu, dass Lady Winchester ihr heißen Tee nachschenkte. Die Viscountess begann, den neuesten Tratsch über die Fitzherbert, die Geliebte von George IV., zu erzählen.
Äußerst erleichtert zog sich Anna nach der endlos erscheinenden Teestunde auf ihr Zimmer zurück. Christopher war nicht mehr im Garten erschienen, so blieb Anna wenigstens diese Konfrontation für den Moment erspart. Sie würde sich mehr Mühe geben müssen und sich von Christopher weder reizen lassen noch ihm Aufmerksamkeit schenken.
justify
Kapitel 4
Fällt eine Krähe ins Mehl, bleibt sie doch nicht lange weiß.
Aus China
Die Herren befanden sich im Esszimmer und warteten auf das Erscheinen der Damen. Ein weiterer Wochenendgast hatte den Herrensitz erreicht. Lucas St. Clare, Earl of Pembroke, lehnte an der Fensterbank und lauschte den Anwesenden. Seine Miene, düster wie meist, zeigte keinerlei Regung.
Christopher fragte sich, was der Earl von den Whigs hielt. Bisher war nicht klar geworden, welcher Partei seine Sympathien galten. Er brachte sich kaum in das Gespräch ein und wenn, dann nur vorsichtig und ohne einen erkennbar deutlichen Standpunkt zu vertreten.
Doch mit einem Mal erhellte sich die Miene des Earls, und er richtete sich auf. Neugierig, was das Interesse des Mannes auf sich gezogen hatte, folgte Christopher seiner Blickrichtung und erkannte Anna, die zur Tür hereinschwebte. Sie trug ein schimmerndes Abendkleid von der Farbe eines nebligen Morgens an der Themse und dazu passende Slipper. Das Kleid entsprach nicht der neuesten Mode, doch es war von zeitloser Eleganz, genauso, wie es eine Frau von Geschmack und begrenzten finanziellen Möglichkeiten wählen würde. Annas Haar war zu einer roten Lockenflut frisiert worden, aus der einige Locken ihr Gesicht und den Nacken umschmeichelten. Ihre mitternachtsblauen Augen inspizierten das Esszimmer neugierig. Sie gab vor, Christopher nicht bemerkt zu haben, doch an der Art, wie sie es umging, ihn anzusehen, wusste er, dass sie ihn mit Nichtachtung strafte.
Es amüsierte ihn, dass sie so offensichtlich versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen. Die Eroberung spröder Frauen gehörte von jeher zu seinem liebsten Zeitvertreib. Und wie ihn die Erfahrung lehrte, ein äußerst lohnender obendrein.
Er überließ es Victor, Anna und Lucas einander vorzustellen. Stirnrunzelnd beobachtete er, wie liebenswürdig Anna Lucas begrüßte und wie Lucas sie wiederum mit den Augen verschlang. Es gefiel ihm nicht, dass sich die beiden auf den ersten Blick sympathisch fanden. Es könnte seine eigenen Pläne verkomplizieren oder gar zum Scheitern bringen.
Eine Weile gönnte er Anna ihren Spaß, dann schritt er ein.
Ein wenig unsicher näherte Anna sich dem Speisesaal. Sie hatte gehofft, einer der beiden anderen Damen, vielleicht auch Lord Winchester oder dem Viscount Sheldon zu begegnen, doch
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