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Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Titel: Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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heiratete ihn, als ich ungefähr sechs Jahre alt war. Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals als Gast im Haus meines Stiefvaters gesehen zu haben. Vermutlich hast du den erwachsenen Ernest Drysdale gar nicht gekannt.“
    Anna und Christopher traten in den Garten hinaus. Anna hielt ihren Blick stur geradeaus gerichtet und umging so den Blickkontakt zu Christopher. Sie sah Lady Winchester und die andere Dame über den Rasen schlendern und machte sich von Christopher frei.
    „Wenn du mich entschuldigen würdest? Ich muss etwas mit Lady Winchester besprechen.“
    Die unbekannte Frau bei Eleanor Tilney erwies sich als kleingewachsene, rundliche Dame in den besten Jahren. Sie trug ein Nachmittagskleid in Dunkelviolett, das hervorragend zu ihrem schwarzen Haar passte, und an Ärmelschluss, Gürtel und Dekolletéeinsatz mit heller Leinen-Klöppelspitze eingefasst war. Ihr Sonnenschirm, den sie neckisch über sich hielt, schien mehr modisches als nützliches Accessoire, denn der Stoff bestand aus derselben Spitze wie das Kleid. Die Sonnenstrahlen malten durch das Löchermuster geometrische Linien aufs Gesicht der Unbekannten.
    „Anna, das ist Georgina Greene, Viscountess Sheldon. Georgina, dies ist Anna Drysdale.“
    Anna begrüßte die Viscountess mit einem Knicks und einem Nicken. Diese erwiderte den Gruß freundlich.
    „Miss Drysdale, ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen. Wir waren beide auf der Soiree der lieben Eleanor.“
    Anna nickte höflich. Sie erinnerte sich nicht, meinte aber, eine Frau in einem erbsengrünen Kleid gesehen zu haben, die Viscountess Sheldon gewesen sein konnte.
    Die Viscountess betrachtete Anna aufmerksam. „Sagen Sie, meine liebe Miss Drysdale, Ernest Drysdale war nicht Ihr leiblicher Vater?“
    „Mein Vater starb kurz nach meiner Geburt.“ Anna kannte ihn nur von einem Portrait und den liebevollen Erzählungen ihrer Mutter.
    „Er hieß Alistair Smythe, Viscount Waringham?“ Georgina Greenes Blick lag fragend auf Anna.
    Stirnrunzelnd nickte Anna, neugierig, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde.
    „Ich kannte ihn“, erklärte die Viscountess.
    „Ist das Ihr Ernst?“
    „Aber ja, meine Liebe. Er und ich waren Spielgefährten. Wissen Sie, dass Sie ihm sehr ähnlich sehen?“
    Anna schüttelte den Kopf, und die Ältere tätschelte ihren Arm. Lady Winchester zog sich zurück und ließ die beiden allein.
    „Er war so ein übermütiger Bursche! Immer zu Scherzen aufgelegt. Natürlich hat er deswegen auch ausreichend Schläge einstecken müssen.“ Sie lachte. „Aber wie man hört, ist das eine Charaktereigenschaft, die er Euch zum Glück nicht vererbt hat. Ihr habt die Londoner Gesellschaft im Sturm erobert mit Eurer Wohlerzogenheit. Alle sind ganz entzückt von Euch.“ Sie deutete zum Teetisch. „Lasst uns eine Tasse Tee genießen. Ihr müsst mir unbedingt erzählen, wer Eure Schneiderin ist. Euer Kleid ist einfach hinreißend.“
     
    Christopher blieb im Schatten der Terrasse zurück und beobachtete Anna und die beiden Frauen. Eleanor, schlank und feingliedrig, nahm sich gegen die plump gewachsene, aber höchst elegant gekleidete Viscountess wie der Inbegriff der Aristokratie aus, im Vergleich zu ihnen wirkte Anna geradezu hoheitsvoll. Sie war perfekt für ihn. Kein scheues Reh, sondern eine Frau nach seinem Geschmack, stolz und exquisit wie eine Tigerlilie. Seine Tigerlilie.
    Mit Kennerblick stellte er fest, dass Annas Kleid nicht nur farblich, sondern auch von der Passform perfekt war. Er wusste, dass sie sich für Stoffe und Nähen begeisterte. Sie wäre die ideale Frau an seiner Seite und eine wunderbare Gastgeberin für Charles Peacock. Er wäre hingerissen von Anna. Sie redete mit Georgina Greene und lächelte. Das und die Erinnerung an das Gefühl ihrer Hand auf der seinen ließen ihm das Blut in die Lenden steigen. Er seufzte. Wenn sie nur nicht so starrsinnig wäre.
    Er verabscheute die britische Heuchelei der Zwangsheirat. Die Gesellschaft hielt sich für fein und erhaben, doch im Grunde verscherbelten sie ihr eigenes Fleisch und Blut für Gold und Äcker. Wie Sklaven. Christopher würde den Teufel tun, sich auf dieses Niveau herabzulassen. Er gäbe vor, ihr Spiel zu spielen, und jedes Lächeln, das er ihnen schenkte, wäre ein Zeichen seiner Verachtung. Und er brächte Anna schon dazu, auf seinen Vorschlag einzugehen.
    Er beobachtete Georgina Greene stirnrunzelnd. Sie schien großen Gefallen an Anna zu finden.
    Ein Schulterklopfen riss ihn aus seiner

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