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Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Titel: Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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Schluck des bitteren Gebräus, das ihr Colette empfohlen hatte. So ganz konnte sie sich nicht dafür erwärmen, auch wenn der Kaffee mit reichlich Milch und Zucker halbwegs annehmbar schmeckte.
    Es ging einfach nichts über eine Tasse guten heißen Tee.
    „Ah!“ Lucas St. Clare schnupperte. „Ihr trinkt Kaffee?“ Er gab dem Butler mit einem Wink zu verstehen, dass er ebenfalls Kaffee wünschte, und wandte sich Anna zu. „Ein wunderbares Getränk, wenn man sich erst an den Geschmack gewöhnt hat. Ich pflege stets abends eine Tasse zu trinken, ehe ich auf Gesellschaften gehe.“
    Interessiert betrachtete Anna ihn. Er sah gut aus, auf eine herbe, männliche Art. Ein maskulines Gesicht; kantiges Kinn mit Grübchen und graue Augen wie der Himmel kurz vor einem Gewittersturm.
    Er erwiderte ihren Blick neugierig, und Anna wandte sich errötend ab. Verstohlen musterte sie seine Hände. Breite, große Hände wie Schaufeln, nicht diese langen, schmalen Finger, die Christopher besaß und deren Berührungen sie zum Beben brachten.
    Sie sah Lord Lucas ins Gesicht und begegnete erneut seinem wohlwollenden Gesichtsausdruck.
    „Hättet Ihr Interesse an einer kleinen Ausfahrt mit mir?“
    Anna zögerte.
    „Ich habe einen Phaeton“, erklärte Lucas. „Wir können eine Anstandsdame mitnehmen.“
    „Das erlaube ich nicht“, mischte sich eine Stimme ein.
    Anna sah auf und erkannte Christopher, der mit blitzenden Augen über ihr stand und Lord St. Clare anfeindete. Sie biss sich auf die Lippen, ehe sie sich an Lord Lucas wandte. „Sehr gerne, mein lieber Lord Lucas, es wäre mir ein Vergnügen und eine Ehre.“
    Es gelang Christopher, seinen Blick noch weiter zu verdüstern. Er wirkte wie der sprichwörtliche dampfende Kessel kurz vor der Explosion.
    „Wäre es möglich, unter vier Augen mit dir zu sprechen, Anna?“
    Sie musterte Christopher hochmütig. „Nein, ich frühstücke.“
    „Danach“, entgegnete er unwirsch.
    Anna zuckte mit den Schultern und wandte sich ihrem Teller zu, als gäbe es nichts Wichtigeres.
    Christopher ließ sich gegenüber von Anna und Lucas nieder.
    „Anna ist mein Mündel“, verkündete er. „Wenn Ihr eine Ausfahrt mit Anna plant, Pembroke, werde ich Euch begleiten!“
    Lucas zuckte unbeeindruckt mit den Achseln. „Wie Ihr wünscht, Munthorpe.“
    „Ich wünsche nicht, von dir beaufsichtigt zu werden wie ein kleines Mädchen, Christopher.“ Sie warf ihm einen empörten Blick zu.
    Er beachtete sie nicht, sondern konzentrierte sich ganz auf Lucas. Die beiden kamen ihr vor wie rivalisierende Hunde, die sich belauerten. Und sie war der Knochen, um den sie stritten. Wäre es dabei nicht um sie selbst gegangen, hätte Anna gelacht. Es war absurd. All die Jahre seit ihrem Debüt bewegte sie sich in den feinen Kreisen, und nicht ein einziges Mal war ein anständiger Bewerber auf der Bildfläche aufgetaucht. Erst jetzt, nachdem sie entschieden hatte, eine Ehe zu vermeiden, war sie plötzlich gefragt.
    Vielleicht sollte sie das einmal den verzweifelten Debütantinnen-Müttern erzählen, überlegte sie nicht ohne Humor.
    Sie beendete ihr Frühstück und legte die Serviette auf den Tisch. Die Herren erhoben sich mit ihr.
    „Wohin willst du?“, fragte Christopher.
    „Spazieren gehen“, schnappte Anna empört und rauschte hinaus.
     
    Sie tauschte ihr Morgengewand gegen robuste Kleider und stabile Stiefel und huschte aus dem Haus. Als sie die Auffahrt hinter sich gelassen hatte, ohne aufgehalten worden zu sein, ganz besonders nicht von einem bestimmten exotischen Herrn, atmete sie befreit auf.
    Sie marschierte auf das Geratewohl über eine Wiese und hätte am liebsten laut gelacht über ihre erfolgreiche Flucht. Die Luft roch süß nach frisch gemähtem Heu, und in der Nähe tummelten sich Schafe, die zufrieden blökten. Als sie der kleinen Gruppe näherkam, schlug ihr der strenge Geruch der wolligen Wesen entgegen. Sie umrundete die Mini-Herde und steuerte ein Wäldchen an, das sich vor ihr erstreckte.
    Anna genoss die Einsamkeit des Moments. Aber vor allem liebte sie die Bewegung an der frischen Luft. In London selbst nahm sie sich nur selten die Zeit für ausgiebige Spaziergänge, doch auf dem Land nutzte sie jede Gelegenheit für Fußmärsche in die Umgebung.
    Sie entdeckte eine Gestalt, die schwankend aus dem Wald kam. Anna hielt inne, bis sie eine betagte, bucklige Frau erkannte, die mit einem Weidenkorb auf dem Rücken das Nachbarörtchen ansteuerte, durch das Anna und die Winchesters auf

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