Tijuana Blues
Worte aufgedruckt: Mexicali Mercy Hospital. Und jetzt, Morgado? Wer ist Sherlock Holmes und wer Doktor Watson?«
Morgado bat um ein Telefonbuch von Mexicali und suchte in den gelben Seiten nach Krankenhäusern. Und da war es. Eine halbseitige Anzeige, mit Anschrift und Telefonnummer.
»Gute Arbeit, Sherlock. Ich melde mich.«
»Du weißt, was dich das kostet, nicht wahr?«
»Nein, das weiß ich nicht, Checo. Aber ich kann es mir vorstellen.«
»Gute Reise, Bruder.«
Morgado legte auf und versuchte das Mexicali Mercy Hospital anzurufen. Niemand meldete sich. Er verließ die Büros der Pathologie und ging zu einem Taxistand. »In die Avenida Edmundo Lizardi 418, Los Pilatos.«
»Das wird teuer«, sagte der Taxifahrer aufrichtig. Er war ein alter Mann mit Mütze und dem Blick eines zahmen Hais.
Morgado dachte kurz nach. »Ganz gleich, was es kostet, bringen Sie mich hin. Jetzt gleich.«
Der Taxifahrer war enttäuscht, dass nicht gefeilscht wurde. »So geht das nicht, Chef. Ich hätte wenigstens einen kleinen Kampf erwartet. Was hätte Sie das gekostet?«
»Zeit«, erwiderte Morgado. »Es hätte mich Zeit gekostet. Und jetzt geben Sie Gas!«
»Befehl ist Befehl, Chef.«
Morgado dachte: Ich habe nicht einmal eine verdammte Knarre dabei und gehe direkt in die Höhle des Löwen. Um mich von einem Serienkiller zerstückeln zu lassen.
11
Molly ließ den Blick durch den völlig verlassenen Operationssaal schweifen. Der Boden war mit Zeitungspapier bedeckt. Sie musste sich verabschieden, aber die Frau, die ständig den Akzent wechselte, verspürte keine Wehmut. Für eine Überlebende von Revolutionen, Schiffbrüchen und Misshandlungen war es wichtig, alle Brücken hinter sich abbrechen zu können, ohne mit der Wimper zu zucken. »Alles fertig, loverboy? «
Der Junge nickte und wies mit dem Blick auf die Benzinkanister, die er an strategischen Punkten der Klinik postiert hatte.
»Fertig, Molly. Ready to go from here to eternity. «
»Wieder so poetisch?«, lachte die Frau. »Du steckst voller Überraschungen.«
Der Junge begann einen Tanz mit Zuckungen und Verrenkungen aufzuführen. » Burn, baby, burn « , schrie er und schlug erst die eine und dann die andere Schulter gegen die Wand des Operationssaales.
Molly lachte, aber ihr Mund zeigte nicht die Spur von Anteilnahme.
»Ich gehe ins Calimax einkaufen, monsterboy. Mach deine Arbeit gut! Wir sehen uns in einer Stunde in Calexico, im Restaurant vom Hotel Anza. Hotel Anza – okay?«
Der Junge stimmte ein Geheul an und schlug sich auf die Brust, als wäre er ein Affenmensch. Molly kehrte in ihr leeres Büro zurück. In der dazugehörigen Toilette nahm sie die rosafarbene Perücke ab und probierte die schwarze auf, bei der die Haare zu zwei Zöpfen geflochten waren. Dann holte sie ein Kästchen voller Make-up hervor. Innerhalb von zehn Minuten war sie nicht wiederzuerkennen. Über den Minirock mit den schwarzen Pailletten zog sie eine lange, mit mexikanischen Motiven handbestickte Tunika. Sie kontrollierte noch einmal alles: Die Frau, die sie aus dem Spiegel ansah, hatte das Gesicht einer Mexikanerin mit indianischen Gesichtszügen.
Speedy Molly greift wieder an, sagte sie zu sich selbst.
Sie ging durch die Hintertür zu dem alten Auto, das sie am Vortag gekauft hatte. Bevor sie den Motor der Klapperkiste anmachte, ging sie noch einmal die Shoppingliste durch: ein acht- bis zehnjähriges Mädchen, gesund und ohne Missbildungen, für eine Milztransplantation. Endpreis: sechzigtausend Dollar. Cash.
12
»Das ist die Klinik«, sagte der Taxifahrer und zeigte auf ein Gebäude an der gegenüberliegenden Ecke. »Ich müsste einmal um den Platz fahren, um direkt davor halten zu können.«
»Lassen Sie mich hier raus«, erwiderte Morgado. »Ich will mir einen Eindruck von dem gesamten Gebäude verschaffen.«
»Wie Sie wollen. Das macht dreißigtausend Pesos.«
Morgado zahlte, ohne zu murren.
»Ach, Sie sind langweilig, amigo. Nicht mal ein bisschen feilschen.«
»Was wollen Sie? Man ist, wie man ist.«
Das Taxi fädelte sich wieder in den mittäglichen Verkehr der Avenida Lizardi ein. Das Mexicali Mercy Hospital war ein nichtssagendes Gebäude. Ein zweistöckiger Zementblock mit Fensterchen wie Schießscharten. Alles pastellblau angestrichen, die Fenster des Wartesaales waren durch getönte Scheiben geschützt.
Als Morgado die Avenida überquert hatte und eintreten wollte, entdeckte er das winzige Schild an der Glastür: »Wegen Umbauarbeiten
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