Tijuana Blues
dass Sie sich anschauen, was wir entdeckt haben. Das ist Doktor Raúl Acosta. Unser Experte für Kriminologie und verrückte Fälle wie diesen.«
Doktor Acosta nickte nur kurz und machte das Licht an der Tafel mit den Röntgenbildern aus, bevor er sich seinen Gästen zuwandte. »Alles, was hier gesprochen wird, ist vertraulich«, sagte er.
»Mach dir keine Gedanken. Sie sind nicht von der Presse«, beruhigte ihn der Comandante.
»Aber sie gehören auch nicht zu uns.«
»Nun schieß schon los! Mach es nicht so spannend!«
Der Rechtsmediziner setzte die Brille ab und holte ein Päckchen Zigaretten aus seiner Tasche. Er bot sie den Anwesenden an, aber nur Doktor Esparza leistete ihm bei seinem Laster Gesellschaft.
»Was wir entdeckt haben, ist nicht viel, aber solide. Wir wissen aufgrund der Menge von Blut an Wänden, Decke und Boden sowie wegen des organischen Materials auf dem Tisch und dem Bett, dass es sich um zwei menschliche Körper handelt, die vor und nach ihrem Tod brutal geschlagen und später zerstückelt wurden.«
»Sparen Sie sich die Details«, bat Morgado. »Ich war selbst vor Ort.«
»Das Entscheidende ist, dass wir eine Leiche identifizieren konnten«, fuhr er fort. »Es handelt sich um Andresito, den entführten Jungen. Und das ist das Seltsame. Oder anders ausgedrückt: Wir haben eine erste Spur, was die Absichten des Mörders angeht.«
»Ich komme da nicht mit«, erklärte Doktor Esparza. »Von welchen Absichten sprechen Sie?«
»Der Mörder. Oder die Mörder. Das ist egal, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Diese Monster haben den anderen Körper zerstückelt. Ihre Absicht war, ihn unidentifizierbar zu machen. Sie haben die Haut an seinen Fingern abgeschnitten, sie haben die Metallspangen aus seinem Gebiss entfernt. Sie haben den Kopf förmlich zermalmt. Aufgrund der Knochendichte und der Blutproben lässt sich sagen, dass es sich um einen Mann zwischen fünfundvierzig und fünfzig handelt. Wir glauben, wenn wir herauskriegen, wer er ist, wird uns das zum Mörder führen. Wir haben ein wichtiges Detail gefunden und die amerikanischen Behörden um Hilfe gebeten. Offenbar war das Opfer in der Navy der Vereinigten Staaten. In einem Stück Haut, das vermutlich aus seiner Achsel stammt, war eine Nummer eintätowiert. Es war nicht die ganze Zahl, aber wir glauben, dass wir bald eine Liste von etwa einhundert bis zweihundert in Frage kommenden Personen bekommen werden. Und ich bin mir sicher, mindestens einer von ihnen wohnt in Mexicali oder in unserer Nachbarstadt auf der anderen Seite, in Calexico.«
»Gute Arbeit, Doc«, sagte Comandante Ramos. »Besser hätte man es nicht machen können. Und erzählen Sie ihnen jetzt von Andresito!«
»Hier hatte der Mörder genau die gegenteilige Absicht: Er wollte, dass wir ihn finden. Er ließ die Hände intakt, damit wir anhand der Fingerabdrücke sofort ermitteln konnten, um wen es sich handelte. Er will, dass wir ihn der Öffentlichkeit als Serienmörder präsentieren. Ich denke, er steht jeden Morgen auf und kauft sich als Erstes die Zeitung in der Hoffnung, die Meldung dort zu finden. Aber da ist noch etwas. Andresito ist mindestens zwölf Stunden vor dem anderen Toten gestorben. Aufgrund weiterer Spuren an dem Körper wissen wir, dass er in einem Kühlfach aufbewahrt wurde.«
»Wie die im Supermarkt?«, fragte Doktor Esparza entsetzt.
»Wegen des stetigen Gefrierzustandes post mortem halte ich das für unwahrscheinlich. Das ist ja das Erstaunliche: Ich würde zwei zu eins darauf wetten, dass sie ihn in einem Leichenschauhaus wie diesem aufbewahrt haben.«
»Was soll das heißen?«, fragte Doktor Esparza.
»Sehen Sie«, erwiderte Doktor Acosta. »In jeder Klinik in Mexicali, die alle Dienste anbietet, gibt es, wie in den renommierten Bestattungshäusern, Kühlfächer, so wie bei uns.«
»Das heißt, er war in einem hiesigen Krankenhaus untergebracht oder wurde dort festgehalten«, stellte Morgado fest.
»Es ist eine Spur. Wir gehen dem nach«, sagte Comandante Ramos.
»Eine eindeutige Spur, amigos, denn als ich den Oberkörper des Jungen genau untersuchte, der einer der am wenigsten beschädigten Körperteile war, konnte ich feststellen, dass er wenige Stunden vor seinem Tod operiert worden war.«
»Operiert?«, fragten die beiden Anwälte unisono.
Der Rechtsmediziner nickte. Seine Rolle als Ermittler mit Skalpell und Röntgenstrahlen fing an ihm zu gefallen. Es war wie in den amerikanischen Fernsehserien.
»Und ich kann noch mehr
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