Tijuana Blues
Wasserzeichen.« Er steckte es in seine Hemdtasche. »Und jetzt?«
Jimmy dachte nach. »Ich kenne einen Typ, der ist Drucker. Der ist seit einem halben Jahrhundert in dem Geschäft. Der war schon Setzer zu der Zeit, als man alles noch per Hand machte.«
»Glaubst du, er kennt das Papier?«, fragte Morgado.
»Don Enrique Anaya kennt das und vieles mehr.«
Der Biker hatte Recht. In seiner Druckerei Impremax fuhr der bedächtig sprechende, alles sehr aufmerksam betrachtende Mann immer wieder mit der Hand über das Papier. »Seidenpapier. Von dem guten. Aus Amerika. Nicht aus Mexiko. Man verwendete es zum Einpacken oder für die Buchführung. Das ist ein loses Blatt. Fünfzigerjahre. Spätestens aus dem Jahr 1965. Allerspätestens.«
»Wieso sind Sie sich so sicher?«, fragte der Rechtsanwalt.
»Weil Pipsa, ein halbstaatliches Unternehmen der mexikanischen Regierung, nach Baja California kam und importiertes Papier wie das hier verdrängt hat.«
»Glaubst du, das Papier enthält eine geheime Botschaft?«, fragte Jimmy voller Hoffnung.
Don Enrique Anaya schüttelte heftig den Kopf. »Da hat doch keiner mit unsichtbarer Tinte draufgeschrieben. Das gibt es nur bei James Bond. Aber wenn jemand etwas auf ein darüber liegendes anderes Blatt geschrieben hat, kann man vielleicht noch etwas entziffern. Kommt mal mit.«
Und er führte sie zwischen Kisten voller noch ungebundener Bücher und Reihen von zum Druck bereiten Plakaten in das Fotolabor.
»Haben Sie hier keine Computer?«, fragte Morgado. »Ich dachte, der ganze Prozess sei inzwischen digitalisiert.«
Der Drucker sah ihn voller Widerwillen und mit einem gewissen Argwohn an. »Die stehen im zweiten Stock. Mein Sohn macht das. Ich ziehe die altmodische Form vor. Es geht langsamer, aber es ist zuverlässiger. Weißt du, wie viele Disketten auf dem Müll landen? Sechzig Prozent. Weißt du, wie lange ein Editionsprogramm auf dem Markt ist? Keine sechs Monate. Da eignest du dir das alles mühsam an, dann sagt der Lieferant dir, dass es schon veraltet ist. Also erzähl mir nichts von Computern. Sie sind schnell. Sie sind billiger, aber ich bin lieber auf der sicheren Seite und tue, was ich beherrsche. Hier gibt niemand dem Computer die Schuld, wenn etwas schiefgeht. Hier ist jeder für seine Arbeit verantwortlich.«
Jimmy klatschte Beifall für den Vortrag, und Morgado hob kapitulierend die Arme. Don Enrique legte das Papier auf die Leuchttischplatte. »Was seht ihr?«
Jimmy und Morgado starrten auf das angestrahlte Papier. »Pünktchen. Sieht aus wie …«
»Blindenschrift«, fiel Jimmy Morgado ins Wort.
»Ja, so sieht es aus, aber ich glaube nicht, dass es Blindenschrift ist. Ich werde einen Test machen.« Der Drucker nahm eine Feder und strich damit über das Papier. Jimmy und Morgado konnten keine Veränderung erkennen.
»Aha«, sagte Don Enrique und fing an in einem Regal voller Bürsten und Fläschchen mit farbigen Tinten und Pülverchen zu suchen. »Das ist es«, sagte er und goss den Inhalt eines Fläschchens auf das Papier. Dann nahm er einen blauen Radiergummi und radierte vorsichtig von oben nach unten. »Und jetzt? Was sehen eure Augen?«
Die beiden waren sprachlos vor dem, was da so plötzlich vor ihren Augen aufgetaucht war. Das war unverkennbar ein Siegel mit Hammer und Sichel. Darunter stand »Partido Comunista Mexicano« und weiter unten standen sechs Wörter: »Vertraulich: Kontakt bestätigt. Teile und Pläne«.
»Hilft euch das?«, fragte der Verfechter des mechanischen Drucks.
»Sehr. Und wie«, antwortete Morgado für beide.
9
Vom neuen Quartier der Cuervos, dem Bürgerzentrum Mexicalis, aus rief Morgado die Büros der Binationalen Kommission für Migrantenrechte in Mexico City an.
»Lupita, wie geht es euch? Gut? Schön. Ich habe drei große Bitten. Ja. Danke. Schreib bitte auf. Ruf Carlos Sifuentes vom Colegio de México an und sag ihm, er möge mir per Mail eine Liste der Mitglieder des früheren Partido Comunista Mexicano schicken, die zwischen 1950 und 1965 verschwunden oder unter verdächtigen Umständen ums Leben gekommen sind. Sie sollten aus Baja California stammen und dort gelebt haben, und es eilt. Dann ruf die Auslandsabteilung an und sag, sie sollen mir, ebenfalls per Mail, eine Liste mit den Fällen zuschicken, wo es zu Konflikten oder Klagen im Gebiet Mexicali-Calexico zwischen unserer Regierung und den Vereinigten Staaten gekommen ist. Von beiden Seiten, bitte. Klagen von amerikanischer und mexikanischer Seite,
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