Tijuana Blues
ebenfalls von 1950 bis 1965. Bin ich zu schnell? Nein? Gut. Und als Letztes, sag Bescheid, dass ich eine Woche länger in Mexicali bleibe. Wir haben gestern drei tote Migranten gefunden. In einer Stunde maile ich dir meinen Bericht. Irgendetwas bei euch, Lupita? Nein? Schön. Ich rufe dich übermorgen an. Grüße die anderen von mir! Bye. «
Als er sein Handy zuklappte, hörte er Gelächter. Jimmy und Toño schüttelten den Kopf. »Die arme Lupita. Du hältst sie ganz schön auf Trab«, sagte Jimmy.
»Du bist ein echter Tyrann«, sagte Toño.
»Alles eine Frage der Prioritäten«, versuchte sich der Anwalt zu verteidigen. »Wir haben es bei dem Mann oder der Frau, die wir gefunden haben, mit einem ungelösten Mordfall zu tun.«
»Hör auf, dich zu verteidigen«, sagte der Chef der Cuervos. »Wir verstehen die Situation besser, als du glaubst. Schon als kleiner Junge habe ich viel über die Laguna Salada gehört. Du kannst dich doch auch an die Gerüchte erinnern.«
Morgado nickte. Alte Bilder kamen schlagartig in ihm hoch. »Ja. Ich erinnere mich«, sagte er, den Blick in ferne Kindertage entrückt. Sein Vater las die Nachrichten aus La Voz de la Frontera, der lokalen Zeitung, vor. Er spielte zu seinen Füßen mit Soldaten, Cowboys und Astronauten. 1964? 1965? So um den Dreh musste es gewesen sein. Er erinnerte sich, dass sein Vater aufgestanden war und aufgeregt eine Nachricht vorlas.
Was war es noch? Worum ging es? Ach ja. Eine Gruppe Jugendlicher hatte einen Ausflug in die Laguna Salada gemacht und sich verirrt. Einer war der Sohn eines Arbeitskollegen. Er hieß Esteban, aber alle nannten ihn Steve; Steve, der Junior. Ein Junge, der auch Pilot werden wollte, wie Morgado. Sie hatten sich verlaufen, und die Rettungstrupps hatten gesucht und gesucht. Sie waren einen Tag überfällig. Und das mitten im Sommer.
Sein Vater war zum Telefon gegangen und hatte seinen Arbeitskollegen angerufen. Er hatte nachgefragt und dann geschwiegen.
Morgado spielte mit seinen Astronauten und Soldaten, aber es entging ihm nicht ein Wort des Gesprächs. Sein Vater war in die Küche zu seiner Mutter gegangen, und dann hatte Morgado den Schrei gehört … Seine Mutter weinte an der Brust des Vaters. Sie sahen ihn und drückten ihn an sich.
»Man hat Steve gefunden«, sagte sein Vater.
»Wir müssen uns gut anziehen, wenn wir in das Bestattungsinstitut gehen.«
»Bestattungsinstitut? Was ist das?«
»Hast du mir zugehört, Morgado?«
»Nein, Jimmy.«
»Dachte ich mir. Du siehst aus wie ein buddhistischer Heiliger, völlig abwesend.«
»Du hast von der Laguna Salada gesprochen, oder?«
»Ja, von der Lagune, die keine Lagune ist, sondern ein ehemaliger, ausgetrockneter See. Und weißt du, warum der Ort so berühmt ist?«
»Wegen der Temperatur, dem Salzgehalt und weil so viele unserer Landsleute sich dort verirrt haben. Eine Falle. Das haben wir gestern gesehen.«
»Das meine ich nicht. Ich spreche von ihrer unheimlichen Berühmtheit.«
»Unheimlich? Willst du andeuten, dass dort ein Ungeheuer herumläuft?«
Der Anführer neigte den Kopf und lächelte. » Verschiedene Ungeheuer. Hast du nie etwas von den chemitas im goldenen Zeitalter von Braulio Maldonado, dem ersten gewählten Gouverneur von Baja California, gehört?«
Wieder vervielfältigte sich die Erinnerung wie in einem Spiegelkabinett. Die chemitas. Die schwarze Legende einer Gruppe, die mehrere Jahre lang das Land terrorisierte. »Die Killer des Gouverneurs, oder?«
»Gut. Diesmal warst du wenigstens nicht abwesend.«
»Sie waren seine Leibwächter, und die Leute sagten, sie hätten die Gegner in die Laguna Salada gebracht, sie dort getötet und begraben. Sie kamen nachts in die Häuser ihrer Opfer, zwangen sie mit gefälschten richterlichen Anordnungen aufzustehen, und dann verschwanden die Leute auf Nimmerwiedersehen.«
»Das ist bis heute nur eine Legende«, erklärte der Biker. »Gerüchte, die nie bestätigt wurden. Aber niemand hier zweifelt daran, dass es in der Wüste eine Menge geheimer Gräber gibt. Massen- und Einzelgräber.«
Jimmy öffnete einen Aktenschrank und holte eine Reihe Akten heraus und übergab sie Morgado. »Als wir das Skelett fanden, habe ich nicht an die chemitas gedacht. Ich dachte an die Kameraden der Liga 23. September, die zwischen 1972 und 1977 verschwunden sind. Die Stadtguerilla, die damals für ungeheuren Wirbel sorgte. Aber die Daten passen nicht. Schau dir die fünf Akten an! Verschwundene politische Aktivisten, die in Baja
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