Tijuana Blues
Malerei die Wirklichkeit. Ich schaffe Welten, wie die Wüste Trugbilder schafft. Wo Salz ist, tue ich Wasser hin. Wo Ödnis herrscht, lasse ich den Sand vibrieren und gebe ihm die Formen einer Frau.«
»Solange es meine Formen sind, ist das in Ordnung.« Das kam aus dem Mund einer kleinen, energiegeladenen Frau, die den Maler herausfordernd ansah. »Lass uns gehen, Rubén. Es ist schon spät.«
»Warum wollen Sie uns den Maestro so plötzlich entreißen? Wo er doch gerade so schön in Fahrt ist«, sagte Don Andrés.
»Wir wollen nach Tijuana, in das Kulturzentrum. Er stellt dort seine Bilder aus und ich meine Skulpturen«, erwiderte die Frau.
»Eine öffentliche Ausstellung?«, fragte Jimmy.
»Am 18., im Kulturzentrum in Tijuana. Um 19 Uhr. Ihr seid herzlich eingeladen«, sagte der Maler und verabschiedete sich herzlich von seinem Plauderründchen.
Als die Reihe an Morgado kam, konnte er nicht widerstehen. »Hier, meine Karte. Besuchen Sie mich zu Hause. Da ist auch mein Studio. Ich würde Ihnen gerne meine Bilder zeigen. Ich habe mehr als dreihundert Stück. Angefangen bei den ersten Porträts bis hin zu den letzten Experimenten. Rufen Sie mich an. Vergessen Sie es nicht!« Und dann hakte er sich bei Juanita unter und ging.
»Stimmt es, dass sie sein Modell war? Dass sie sich so kennen gelernt haben?«, fragte Salvador.
Don Andrés lachte und zeigte sein gepflegtes Gebiss. »Das ist auch so ein Trugbild. Aber kommen wir auf Ihr Buchprojekt zurück, Miguel Ángel. Warum die Regierungszeit von Maldonado? Was interessiert Sie so an dieser Zeit, die gewiss von historischer Bedeutung war?«
»Und voller Konflikte«, sagte Jimmy.
»Und voller Lug und Trug«, fügte Eugenio hinzu.
Morgado musste in die Rolle des Historikers schlüpfen, die der Anführer der Cuervos ihm aufgezwungen hatte. »Eben genau das. Dass es so eine kontrovers diskutierte Regierung war.«
»Na ja.« Don Andrés wägte die Worte sorgfältig ab. »Das gebe ich zu. Braulio Maldonado war ein unbesonnener, hitzköpfiger Politiker …«
»Unvorsichtig, solltest du sagen«, warf Don Eugenio ein.
»Ja, unvorsichtig. Er gehörte der offiziellen Partei an, aber er hatte gewisse Schwächen.«
»Die Frauen, schmutzige Spiele und Poker«, sagte Salvador.
»Nein! Nein!«, rief Don Andrés, außer sich, weil er ständig unterbrochen wurde. »Ich spreche von einer Schwäche für die Linke. Er gefiel sich in der Rolle des Roten, des Kommunistenfreundes, und das zu einer Zeit, in der die Gringos mit der Sowjetunion auf Kriegsfuß standen. Es war die Zeit des Koreakrieges und des Eisernen Vorhangs. Und auf einmal taucht dort, wo sie am wenigsten damit rechnen, ein linker Grenzgouverneur mit großen Träumen auf.«
»Gerissen und ohne Ehrgefühl«, bemerkte Don Eugenio.
»Wie auch immer«, fuhr Don Andrés fort. »Die Unternehmer, die Facharbeiter, die Mittelklasse im Allgemeinen, betrachtete ihn voller Misstrauen, Angst, Groll. Er war völlig unbeeindruckt. Die Amis haben es ihm heimgezahlt, ihm die Einreise verboten oder ihm tausend Hindernisse in den Weg gelegt, wenn er nach Kalifornien zu einem Treffen mit seinem Amtskollegen wollte. Das war alles eine Riesenshow.«
»Du stellst es dar, als handle es sich um den Kampf von David gegen Goliath«, rief Don Eugenio. »Aber er hat Journalisten töten und Druckereien und Zeitungsbüros anzünden lassen. Er hat uns verfolgt, uns ins Gefängnis gesteckt, nur weil wir in der Opposition waren. Er hat, wie alle Kommunisten, sowohl die eigenen Genossen als auch die anständigen Leute unterdrückt.«
»Wie du verstehen wirst«, spottete Salvador.
Don Eugenio stand auf, nahm seinen Hut und ging, ohne sich von jemandem zu verabschieden. Er blieb nur einen Moment vor Morgado stehen. Es sollte wie eine vertrauliche Mitteilung klingen, aber seine Stimme war noch im letzten Winkel des Restaurants zu hören: »Bleiben Sie nicht allzu lange an diesem Tisch, Don Miguel Ángel, oder Sie werden sich in einen Dinosaurier verwandeln. Wenn Sie die Wahrheit über Maldonado wissen wollen, lesen Sie die Zeitungen der damaligen Zeit. Sie werden sehen, was für ein jämmerliches Bild wir damals abgaben.«
»Welch jämmerliches Bild du abgegeben hast, meinst du«, sagte Salvador.
»Danke für den Rat«, sagte Morgado. »Ich werde ihn befolgen.«
»Und denken Sie daran: Mit der Zeit wird sogar der übelste Schurke zum Vorbild, zum Helden für die Gedächtnislosen.«
Jimmy wollte nicht, dass das Gespräch in eine andere
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