Tijuana Blues
Richtung abdriftete. Also wandte er sich an Fernando, um ihn nach seiner Meinung zu Maldonado zu fragen. Der Journalist schlürfte vernehmlich seinen Kaffee und rückte die Brille gerade. Er war ein krummer, alter Mann, den die Polemiken um ihn herum nicht zu berühren schienen.
»Weder gut … noch schlecht«, sagte er schließlich. »Er zahlte gut. Er ließ Getränke, Essen, Weiber springen. Die Polizei war damals in Ordnung. Mit ihr war nicht gut Kirschen essen, aber sie war loyal. Nicht wie heute, wo man nicht weiß, wem man vertrauen kann und wem nicht.«
Morgado sah seine Chance: »Braulio Maldonado hat viele Dinge getan. Die Armen bewunderten ihn. Aber überall stoße ich bei meinen Nachforschungen auf die chemitas, seine Schergen.«
»Ah, die José María‹. Tapfere Burschen. Sie waren seine Leibwächter, seine persönliche Wache«, erwiderte Fernando animiert. »Viele Leute verziehen Braulio seine Sozialprogramme nicht, dass er sich für die Bauern und die Arbeiter einsetzte. Es gab sechs oder sieben Anschläge auf sein Leben. Und auch auf das seiner Frau. Glaubt nicht, dass er ein Übeltäter war. Aber er hatte mit solchen zu tun und musste gegen den Strom schwimmen. Baja California war ein Gebiet der Drogenhändler, seit die Chinesen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Opium schmuggelten. Da waren alle möglichen Interessen im Spiel – die der Cosa Nostra, der Unternehmer, der Kirche – , und das machte soziale Gerechtigkeit unmöglich.«
»Du sprichst wie ein Freimaurer«, attackierte ihn Salvador.
»Ich rede, wie ich will. Hast du ein Problem damit?«
»Nein. Mach nur.«
Fernando rückte seinen Hut zurecht und blickte in die Runde. »Klar, der Gouverneur war kein Heiliger. Er gab gerne fremdes Geld aus. Er versprach hundert Sachen und hielt zwei. Er war ein Idealist, der nie mit den Beinen auf dem Boden stand. Wissen Sie, wie Braulio Maldonado starb?«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Verarmt. In einem Loch in Ensenada. Vergessen von seinen Freunden und Feinden. Das war 1990. Und es kommt einem so vor, als wäre es vor einem Jahrhundert gewesen.«
»Was ist mit den chemitas? « , hakte Jimmy nach.
»Eine Legende«, sagte Fernando, der sich nicht mehr zurückhalten konnte. »Ich war damals bei den Razzien dabei. Die Polizisten schnappten sich die brutalsten Verbrecher und wandten das so genannte ›Fluchtgesetz‹ an. Reiner Abschaum. Keine politischen Geschichten. Die chemitas haben niemanden in der Salada getötet.«
»Das habe ich auch nie behauptet«, sagte Morgado. Es entstand ein unangenehmes Schweigen. »Aber jetzt habe ich da so meine Zweifel«, fügte er hinzu.
Fernando, der Journalist, schaute ihn argwöhnisch an. »Was sucht ihr verdammten Kerle eigentlich?«
Jimmy antwortete ohne eine Spur von Aggressivität: »Wir wollen nichts aufrühren. Das, wovon du sprichst, ist ein halbes Jahrhundert her. Morgado sucht nach denen, die in der Laguna Salada verschwunden sind. Die dort begraben liegen. Ob die chemitas das gemacht haben oder nicht, ob der Gouverneur den Befehl dazu gab oder nichts davon wusste, tut nichts zur Sache. Uns interessiert, wer die Toten waren. Die Gerechtigkeit kommt später. Obwohl, bei der vielen Zeit, die vergangen ist, ist es ohnehin zu spät für jede Art von Gerechtigkeit.«
»Hör mal«, wandte Don Andrés ein. »Seit wann kannst du so schön sprechen? Oder willst du jetzt für eine Partei kandidieren?«
»Wir interessieren uns für die Verschwundenen der Fünfzigerjahre«, sagte Morgado in dozierendem Ton. »Für die, die eines schönen Tages, aus irgendeinem Grund, von der Polizei und den Streitkräften abgeholt wurden und für immer verschwanden.«
»Sie sind kein Historiker. Sie sind Rechtsanwalt.« Das kam von Claudio, dem Bauer.
»Das bin ich«, sagte Morgado knapp, denn es gefiel ihm nicht, als jemand aufzutreten, der er nicht war.
»Ich erinnere mich«, fuhr der Bauer fort, »dass ich einmal zum Notdienst in eine Zahnarztpraxis gegenüber der Kathedrale ging. Ich hatte wahnsinnige Zahnschmerzen. Ich ging zum erstbesten Zahnarzt, und das war ein sehr aufmerksamer und entgegenkommender junger Mann. Er leistete gute Arbeit und bat mich, in der nächsten Woche wiederzukommen, damit er die Fäden ziehen konnte. Ich ging wieder hin, die Praxis war geschlossen. Ich habe im ganzen Block gefragt, aber niemand konnte mir sagen, was geschehen war und wo er abgeblieben war.«
»Und was beweist das?«, fragte Fernando.
»Nichts«, erwiderte Claudio. »Nur
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