Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
Ich glaube, sie konnten einfach nichts damit anfangen. Für solche Kurzfilme gibt es keinen Markt, und der Konzern befand sich in einer merkwürdigen Übergangsphase, sodass der Film einfach unter den Tisch gefallen ist. Außerdem wusste ich damals nicht, ob ich überhaupt noch ein Mitarbeiter bei Disney war.
A ls Nächstes führte Burton im Auftrag von Disney bei einem Spielfilm Regie – einer Verfilmung des grimmschen Märchens »Hänsel und Gretel« mit japanischen Darstellern. Der Film wurde für 116 000 Dollar für den Fernsehsender Disney Channel produziert, der damals noch in den Kinderschuhen steckte. Das Drehbuch stammte von Produzentin Julie Hickson. Auch wenn es dem Film an der emotionalen Tiefe mangelt, die bei VINCENT zu finden ist, ist er doch ein gutes Beispiel für Burtons überspannten Ideenreichtum. In vielerlei Hinsicht weicht er auf typisch burtoneske Weise von der Vorlage ab. Zum Beispiel endet er mit einem Kung-Fu-Kampf zwischen Hänsel und Gretel und der Hexe, die von einem männlichen Darsteller gespielt wird.
Der Disney Channel war damals gerade erst gegründet worden. Sie hatten dort eine Reihe mit Märchenfilmen auf den Weg gebracht, und ich hatte die Idee, »Hänsel und Gretel« mit japanischen Darstellern zu verfilmen und der Geschichte einen besonderen Dreh zu geben. Einen Haufen Zeichnungen dazu hatte ich schon in der Schublade, und so ließen mich die Leute bei Disney gewähren. Anfangs lief alles über diese Zeichnungen. Ich hätte ein paar Wände damit tapezieren können, und ich glaube, das hat Disney eine gewisse Sicherheit gegeben. Obwohl es schwierig war, sich auf Grundlage dieser Zeichnungen einen ganzen Spielfilm, inklusive Kulissen, Schauspielern usw., vorzustellen, haben sie sie wohl davon überzeugt, dass ich nicht komplett verrückt bin und tatsächlich etwas auf die Beine stellen könnte. Außerdem befand sich damals, wie schon gesagt, der ganze Konzern im Umbruch. Bis vor Kurzem wäre es aber auch heutzutage völlig undenkbar gewesen, einen solchen Film für ein Studio zu produzieren. Inzwischen gibt es Fernsehsendungen, die von den Studios finanziert werden, oder sie investieren in Filmschulen. Heute dürfen angehende junge Regisseure bei Disney Probeszenen drehen. Damals war so etwas jedoch nicht üblich. Mir war deshalb stets klar, dass ich mich in einer einzigartigen Situation befand. Deshalb war ich froh und glücklich, selbst wenn mal nicht alles glattlief.
Der Film hält sich relativ eng an die Vorlage, außer dass die Darsteller Japaner sind. Japanisches Design hat mich schon immer fasziniert. In den Godzilla -Filmen meiner Kindheit haben mich besonders das Design und die Farben angesprochen. Außerdem habe ich in HANSEL AND GRETEL eine kleine Martial-Arts-Szene eingebaut, weil ich ein großer Fan von Kampfsport-Filmen bin. Die Erwartungshaltung der Zuschauer hat mich nie besonders interessiert. Stattdessen dachte ich mir: Wenn etwas mir schon nicht gefällt, wie soll es dann den Zuschauern gefallen? Und wenn etwas nur mir gefällt, ist es auch okay. Dann hat zumindest einer seinen Spaß gehabt.
HANSEL AND GRETEL
Bei HANSEL AND GRETEL arbeitete Burton zum ersten Mal mit Schauspielern zusammen, wenn auch mit Laiendarstellern.
Der Film war sehr amateurhaft, was aber eher an mir als an den Darstellern lag. Die Arbeit daran hat mir trotzdem Spaß gemacht, und ich habe dabei eine Menge gelernt. Es ist schon seltsam – wenn man noch nie einen echten Spielfilm gedreht hat, kann man sich gar nicht vorstellen, was daran so schwierig sein soll. Es sieht alles so einfach aus, bis man dann tatsächlich mitten in den Dreharbeiten steckt. Als Trickfilmzeichner hatte ich kaum mit Leuten zu tun. Ich konnte mich anderen gegenüber nie besonders gut verständlich machen und habe nur wenig gesprochen. Das ist heute immer noch so, aber früher war es viel schlimmer. Ich beendete nie die Sätze, weil ich im Geiste immer schon einen Schritt weiter war. Außerdem war das keine Shakespeare-Verfilmung, wo man eine feste Vorlage hat. Es war nicht leicht, den Leuten klarzumachen, was ich von ihnen wollte, und ich habe mich dabei ziemlich ungeschickt angestellt. Mit der Zeit hat sich das gebessert. Als Regisseur muss man mit vielen Menschen kommunizieren – eine Erfahrung, die ich damals zum ersten Mal machte. Ich glaube, dass mir dieser Film bei meinem nächsten Projekt sehr geholfen hat. Bei der Arbeit an F RANKENWEENIE konnte ich auf den Erfahrungen aufbauen, die ich mit HANSEL
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