Timbuktu
einem Rauschzustand, verlor sich in einem nasalen Paradies, das zu verlassen er nicht ertragen konnte. Und wie gesagt, wenn Willy davon überzeugt war, daß Mr. Bones eine Seele hatte, war es dann nicht logisch, daß ein derart beseelter Hund auch nach höheren Dingen strebte - nach Dingen, die nicht unbedingt mit seinen körperlichen Bedürfnissen und Trieben zu tun hatten, sondern nach geistigen, künstlerischen Dingen, nach dem Stillen des immateriellen Wissensdurstes der Seele eben? Und wenn, wie alle Philosophen zu diesem Thema bemerkt haben, die Kunst eine menschliche Aktivität ist, die über die Sinne zu jener Seele vorzudringen suchte, war es dann nicht auch nur logisch, daß Hunde - zumindest Hunde von Mr. Bones’ Kaliber - einen vergleichbaren ästhetischen Impuls verspüren konnten? Würden sie, mit anderen Worten, Kunst nicht auch zu schätzen wissen? Nach Willys Kenntnisstand war noch nie jemand auf diesen Gedanken gekommen. War er der erste Mensch in der Geschichtsschreibung, der so etwas für möglich hielt? Egal. Die Zeit für diese Idee schien einfach reif zu sein. Wer wollte behaupten, daß Hunde, wenn sie schon unempfänglich für die Anziehungskraft von Ölgemälden und Streichquartetten waren, nicht auf eine Kunst reagierten, die auf Gerüchen basierte? Warum keine olfaktorische Kunst? Warum nicht eine Kunst für Hunde, die sich mit der Welt auseinandersetzte, wie Hunde sie kannten?
Und so begann der verrückte Winter 1988. Mr. Bones hatte Willy noch nie so aufgeregt erlebt, so entschlossen, so voller unerschütterlicher Energie. Dreieinhalb Monate arbeitete Willy an dem Projekt, und alles andere fiel unter den Tisch. Er rauchte und trank kaum noch, schlief nur, wenn es gar nicht mehr anders ging, vergaß zu schreiben, zu lesen oder sich in der Nase zu bohren. Er machte Pläne, erstellte Listen, experimentierte mit Gerüchen, zeichnete Diagramme, baute Gebilde aus Holz, Leinwand, Pappe und Plastik. Es gab so vieles zu berücksichtigen, so viele Tests zu machen, so viele beängstigende Fragen zu beantworten. Was war die ideale Geruchsfolge? Wie lang durfte eine Symphonie dauern, und wie viele Gerüche sollten darin enthalten sein? Wie sollte die Konzerthalle aussehen? Legte man sie als Labyrinth an, oder eignete sich eine Reihe von ineinandergesteckten Schachteln besser für das Empfindungsvermögen eines Hundes? Sollte der Hund allein sein, oder sollte ihn sein Herrchen von einem Teil der Aufführung zum nächsten geleiten? Sollte sich jede Symphonie nur um ein einziges Thema drehen - Futter, zum Beispiel, oder weibliche Gerüche? -, oder sollten verschiedene Elemente miteinander vermischt werden? Willy besprach all diese Probleme nach und nach mit Mr. Bones, wollte seine Meinung wissen, fragte ihn um Rat und bat um Nachsicht dafür, daß er als Versuchskaninchen für die zahlreichen gelungenen und gescheiterten Tests herhalten mußte. Der Hund hatte sich noch nie so geehrt gefühlt, war noch nie so nah am Pulsschlag des menschlichen Lebens gewesen. Nicht nur, daß Willy ihn brauchte, nein, Mr. Bones hatte diese Inspiration erst ausgelöst. Von einer bescheidenen Promenadenmischung ohne besondere Verdienste oder Kennzeichen hatte Willy ihn so zum Hund an sich befördert, zu einem Vorbild für die gesamte Gattung. Natürlich war er froh darüber, seinen Teil beitragen und tun zu können, worum auch immer Willy ihn bat. Was machte es schon, wenn er nicht alles verstand? Er war schließlich ein Hund, oder?, und was hätte er schon dagegen haben sollen, an einem Haufen uringetränkter Lumpen zu schnüffeln, sich durch eine enge Falltür zu zwängen oder durch einen Tunnel zu kriechen, dessen Wände mit den Resten von Spaghetti mit Fleischklopsen beschmiert worden waren? Es mochte keinen Sinn haben, aber um die Wahrheit zu sagen, es machte Spaß.
Daran erinnerte er sich jetzt: an den Spaß, an Willys ansteckende Begeisterung. Vergessen wir Momsan und ihre sarkastischen Bemerkungen. Vergessen wir, daß sich ihr Versuchslabor im Keller des Hauses befand, gleich neben dem Heizkessel und den Abwasserrohren, und daß der gestampfte Lehmboden kalt war. Sie arbeiteten gemeinsam an etwas Wichtigem und ertrugen gemeinsam alle Härten im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts. Bedauerlich war bisweilen allenfalls, welches Ausmaß Willys Eifer für die Sache annahm. Sie beanspruchte ihn völlig, und er kümmerte sich so intensiv um jede Einzelheit, daß es ihm zunehmend schwerer fiel, noch den Überblick
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