Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
»Ich glaube, es gibt eine.«
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16:12:23
Witternd vor Kälte wachte Chris auf. Es war kurz vor Tagesanbruch. Der Himmel war blaßgrau, dünner Nebel waberte über der Erde. Die Knie angezogen, den Rücken an die Wand gelehnt, saß er unter dem Verschlag. Kate hockte neben ihm und schlief noch. Er bewegte sich, um hinauszuschauen, und zuckte vor Schmerz zusammen. Seine Muskeln waren verkrampft und steif — die Arme, die Beine, der Oberkörper, alles. Sein Nacken schmerzte, als er den Kopf drehte.
Überrascht stellte er fest, daß die Schulter seines Wamses steif war von getrocknetem Blut. Anscheinend hatte der Pfeil in der vergangenen Nacht ihn so verletzt, daß er geblutet hatte. Chris stöhnte auf vor Schmerz, als er den Arm bewegte, merkte aber zugleich, daß alles halbwegs okay war.
Er zitterte in der morgendlichen Feuchtigkeit. Was er jetzt wollte, war ein Feuer und etwas zu essen. Sein Magen knurrte. Seit mehr als vierundzwanzig Stunden hatte er nichts gegessen. Und er hatte Durst. Wo würden sie Wasser finden? Konnte man aus der Dordogne trinken? Oder mußten sie sich eine Quelle suchen? Und wo würden sie etwas zu essen finden?
Er drehte sich nach Marek um, aber Marek war nicht da. Er sah sich im Bauernhaus um — wieder diese Schmerzen bei jeder Bewegung –, aber Marek war verschwunden.
Chris wollte eben aufstehen, als er das Geräusch näher kommender Schritte hörte. Marek? Nein, entschied er: Er hörte die Schritte von mehr als einer Person. Und das leise Klirren eines Kettenhemds.
Die Schritte kamen näher, blieben dann stehen. Er hielt den Atem an. Rechts, kaum einen Meter von seinem Kopf entfernt, erschien ein Kettenhandschuh im offenen Fenster und legte sich auf das Fensterbrett. Der Ärmel über dem Handschuh war grün mit schwarzem Besatz.
Arnauts Männer.
»Hic nemo habitavit nuper«, sagte eine Männerstimme.
Von der Tür kam eine Antwort: »Et intellego square. Specta, porta habet signum rubrum. Estne pestilentia?« »Pestilcntia? Certo scisne? Abeamus!«
Die Hand zog sich hastig zurück, und die Schritte eilten davon. Sein Ohrstöpsel hatte nichts übersetzt, weil er abgeschaltet war. Er mußte sich auf seine Lateinkenntnisse verlassen. Was hieß pestilentia? Wahrscheinlich »Pest«. Die Soldaten hatten das Zeichen auf der Tür gesehen und sich schnell entfernt.
O Gott, dachte er, ist das ein Pesthaus? War das der Grund, warum man es niedergebrannt hatte? Konnte man sich noch immer mit der Pest infizieren? Er dachte gerade darüber nach, als zu seinem Entsetzen eine schwarze Ratte durch das tiefe Gras und zur Tür hinaushuschte. Chris erschauerte. Kate wachte auf und gähnte. »Wie spät ist —«
Er drückte ihr den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf.
Er konnte die sich entfernenden Männer noch immer hören, ihre Stimmen klangen schwach durch den grauen Morgen. Chris krabbelte unter dem Verschlag hervor, kroch zum Fenster und schaute vorsichtig hinaus.
Er sah mindestens ein Dutzend Soldaten in den grünen und schwarzen Farben Arnauts, die methodisch alle strohgedeckten Hütten vor den Klostermauern absuchten. Und im selben Moment sah er Marek, der auf die Klostermauern zulief. Er ging gebückt, zog ein Bein nach und hatte einiges Grünzeug in seinen Händen. Die Soldaten hielten ihn auf. Marek verbeugte sich unterwürfig. Seine ganze Gestalt wirkte klein und schwach. Er zeigte den Soldaten, was er in den Händen hatte. Die Soldaten lachten und scheuchten ihn weg. Noch immer gebückt und unterwürfig ging Marek weiter.
Kate sah zu, wie Marek an ihrem ausgebrannten Bauernhaus vorbeiging und hinter der Klostermauer verschwand. Er hatte offensichtlich nicht vor, zu ihnen zurückzukommen, solange Soldaten die Gegend durchstreiften.
Chris war mit schmerzverzerrtem Gesicht unter den Verschlag zurückgekrochen. Seine Schulter schien verletzt zu sein, er hatte getrocknetes Blut auf der Kleidung. Sie half ihm, das Wams aufzuknöpfen, und er verzog das Gesicht und biß sich auf die Unterlippe. Sanft zog sie das kragenlose Leinenunterhemd zur Seite und sah, daß die ganze linke Seite seiner Brust häßlich violett verfärbt war, mit einem gelblichschwarzen Rand. Das mußte die Stelle sein, wo die Lanze ihn getroffen hatte.
Als er ihr Gesicht sah, flüsterte er: »Ist es schlimm?«
»Ich glaube, es ist nur eine Prellung. Vielleicht ein paar angeknackste Rippen.«
»Tut verdammt weh.«
Sie zog ihm das Hemd über die Schulter und entdeckte die Pfeilwunde. Es war
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