Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
das von den Wänden widerhallte.
Neben jedem Amboß standen eine Wanne mit Wasser und eine Pfanne mit glühenden Kohlen. Das war ganz offensichtlich eine Schmiede, wo Stahl durch abwechselndes Erhitzen, Hämmern und Kühlen in Wasser vergütet wurde; die Wasserräder lieferten dazu die Energie für die Hämmer.
Doch jetzt knallten die Fallhämmer unbewacht auf die Ambosse, während sieben oder acht Soldaten in Kastanienbraun und Grau jeden Winkel des Raums absuchten, unter den rotierenden Zylindern und den niedersausenden Hämmern nachschauten, die Wände nach Geheimfächern abtasteten und in den Werkzeugkisten stöberten.
Kate war sich ganz sicher, wonach sie suchten: nach Bruder Marcels Schlüssel.
Marek wandte sich ihr zu und bedeutete ihr, daß sie die Treppe hinunter und zu einer Seitentür gehen sollten, die einen Spalt offenstand. Es war die einzige Tür in der Seitenwand, sie hatte kein Schloß, und dahinter lag mit großer Wahrscheinlichkeit Marcels Zimmer.
Und offensichtlich war es bereits durchsucht worden.
Aus irgendeinem Grund schien Marek dies nichts auszumachen, denn er bewegte sich sehr zielstrebig darauf zu. Am Fuß der Treppe zwängten sie sich an den lärmenden Fallhämmern vorbei und schlüpften in Marcels Zelle.
Marek schüttelte den Kopf.
Es war wirklich eine Mönchszelle, sehr klein und auffallend karg möbliert: nur eine schmale Pritsche, eine Schüssel mit Wasser und ein Nachttopf. Neben der Pritsche stand ein winziger Tisch mit einer Kerze. Das war alles. Auf einem Haken an der Tür hingen zwei von Marcels weißen Roben.
Sonst nichts.
Ein Blick genügte, um zu erkennen, daß sich in dieser Kammer keine Schlüssel befanden. Und falls welche hier gewesen waren, dann hatten die Soldaten sie bereits gefunden.
Trotzdem kniete Marek zu Kates Überraschung sich hin und suchte methodisch unter dem Bett.
Marek erinnerte sich daran, was der Abt gesagt hatte, kurz bevor er getötet wurde.
Der Abt wußte nicht, wo sich der Geheimgang befand, aber er wollte es unbedingt herausfinden, um es Arnaut verraten zu können. Der Abt hatte den Professor ermutigt, die alten Dokumente durchzusehen – was durchaus einen Sinn ergab, falls Marcel so verwirrt war, daß er niemandem mehr sagen konnte, was er alles getan hatte.
Der Professor hatte ein Dokument gefunden, in dem ein Schlüssel erwähnt wurde, und er schien zu glauben, daß dies eine wichtige Entdeckung war. Doch der Abt war ungeduldig gewesen: »Natürlich gibt es einen Schlüssel. Marcel hat viele Schlüssel…«
Der Abt hatte also bereits von der Existenz eines Schlüssels gewußt. Er hatte gewußt, wo der Schlüssel war. Aber er konnte trotzdem nichts damit anfangen.
Warum nicht?
Kate tippte Marek auf die Schulter. Er drehte sich um und sah, daß sie die weißen Kutten beiseite geschoben hatte. Auf der Rückseite der Tür sah er drei eingeschnitzte Muster, römisch wirkende Zeichen. Die Muster besaßen etwas Strenges, beinahe Dekoratives, das deutlich unmittelalterlich wirkte.
Und dann erkannte er, daß diese Zeichen keine Muster und keine Verzierungen waren. Sie waren erklärende Diagramme.
Sie waren Schlüssel.
Das Diagramm, das ihn besonders fesselte, war das dritte, auf der äußersten rechten Seite. Es sah so aus:
Das Diagramm war schon vor vielen Jahren in das Holz der Tür geschnitzt worden. Die Soldaten hatten es zweifellos gesehen. Aber wenn sie noch immer suchten, hatten sie nicht begriffen, was es bedeutete.
Aber Marek begriff.
Kate starrte ihn an und formte lautlos die Worte: Treppe?
Marek deutete auf die Abbildung und formte: Karte.
Denn jetzt war ihm alles klar.
VIVIX war nicht im Lexikon zu finden, weil es kein Wort war. Es war eine Reihe von Zahlen: V, IV und IX. Und diese Zahlen waren mit Richtungsanweisungen verbunden, die im Text des Pergaments verschlüsselt waren: DESIDE. Was ebenfalls kein Wort war, sondern für DExtra, SInistra, DExtra stand, die lateinischen Wörter für »rechts, links, rechts«.
Der Schlüssel war also folgendermaßen zu lesen: Wenn du in der Kapelle bist, gehe fünf Schritte nach rechts, vier Schritte nach links und neun Schritte nach rechts.
Und das brachte einen zum Geheimgang.
Marek grinste Kate an.
Wonach jedermann suchte, hatten sie nun endlich gefunden.
Sie hatten den Schlüssel zu La Roque gefunden.
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09:10:23
Jetzt mußten sie es nur noch lebendig aus der Mühle schaffen, dachte Kate. Marek ging zur Tür und spähte vorsichtig in den Hauptraum zu den Soldaten
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