Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
zu.
Hier war überhaupt niemand, und sie konnten, versteckt hinter Laubwerk, die Brücke ausspähen, die jetzt etwa vierhundert Meter flußabwärts lag.
Was sie sahen, war nicht sehr ermutigend.
An jedem Ende der Brücke stand ein massiver, zweistöckiger Wachturm mit einem zinnenbewehrten Laufgang obenauf und Schießscharten an allen Seiten. Auf dem diesseitigen Wachturm sahen sie zwei Dutzend Soldaten in Kastanienbraun und Grau, die kampfbereit über die Brustwehr nach unten schauten. Die gleiche Anzahl Soldaten befand sich auf dem zweiten Turm, auf dem Sir Olivers Banner im Wind flatterte.
Zwischen den beiden Türmen bestand die Brücke aus zwei Gebäuden unterschiedlicher Größe, die durch Rampen verbunden waren. Darunter drehten sich vier Wasserräder, angetrieben von der Strömung des Flusses, der durch eine Reihe von Dämmen und Kanälen beschleunigt wurde.
»Was meinst du?« fragte Marek Chris. Diesem Bauwerk galt schließlich sein ganz spezielles Interesse. Er studierte es seit zwei Jahren. »Kommen wir da rein?«
Chris schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Überall Soldaten. Es gibt keinen Weg hinein.«
»Was ist das Gebäude auf unserer Seite?« fragte Marek und deutete auf einen zweistöckigen Holzbau.
»Das dürfte die Mehlmühle sein«, sagte Chris. »Wahrscheinlich mit den Mühlsteinen im Obergeschoß. Das Mehl rieselt über eine Rinne in Behälter im Erdgeschoß, wo man es leichter in Säcke füllen und hinaustragen kann.«
»Wie viele Leute arbeiten dort?«
»Wahrscheinlich zwei oder drei. Aber im Augenblick« – er deutete auf die Soldaten — »vielleicht überhaupt niemand.«
»Okay. Und das andere?«
Marek deutete auf das andere Gebäude, das mit dem ersten durch eine kurze Rampe verbunden war. Es war länger, aber niedriger. »Bin mir nicht ganz sicher«, sagte Chris. »Es könnte zur Metallbearbeitung sein, eine Breimühle zur Papierherstellung, ein Biermaischer oder vielleicht sogar eine Mühle zur Holzbearbeitung.«
»Du meinst mit Sägen?«
»Ja. Zu dieser Zeit gibt es bereits wassergetriebene Sägen. Falls es das ist.«
»Du bist dir aber nicht sicher.«
»Nein, von hier aus läßt sich das nicht feststellen.«
Kate sagte: »Tut mir ja furchtbar leid, aber warum zerbrechen wir uns überhaupt darüber den Kopf? Schaut euch die Brücke doch nur an: Wir kommen da nie rein.«
»Aber wir müssen rein«, sagte Marek. »Um uns Bruder Marcels Zelle anzusehen und um den Schlüssel zu holen, der da drin ist.«
»Aber wie, André? Wie kommen wir da rein?«
Lange starrte Marek die Brücke schweigend an. Dann sagte er: »Wir schwimmen.«
Chris schüttelte den Kopf. »Unmöglich«, sagte er. Die Brückenpfeiler ragten senkrecht aus dem Wasser, die Steine waren grün und schlüpfrig vor Algen. »Wir können da nie hochklettern.«
»Wer hat denn was von Klettern gesagt?« fragte Marek.
----
09:27:33
Chris blieb die Luft weg, als er die Kälte des Wassers spürte. Marek stieß sich bereits vom Ufer ab und ließ sich von der Strömung flußabwärts treiben. Kate war direkt hinter ihm, sie schwamm ein Stück nach rechts und versuchte, sich in der Flußmitte zu halten. Chris folgte ihnen, warf aber immer wieder nervöse Blicke zum Flußufer. Bis jetzt hatten die Soldaten sie noch nicht entdeckt. Das Rauschen des Flusses klang laut in seinen Ohren, er hörte nichts anderes. Jetzt drehte er den Kopf nach vorn, konzentrierte sich nur noch auf die immer näher kommende Brücke. Er spürte, wie sein Körper sich anspannte. Er hatte nur eine einzige Chance — wenn er die verpaßte, würde die Strömung ihn flußabwärts treiben, und es war unwahrscheinlich, daß er es zurück zur Brücke schaffte, ohne gefangengenommen zu werden.
So war es also.
Eine einzige Chance.
Kleine Steinmauern ragten von den Ufern in den Fluß, um die Strömung zu beschleunigen, und er spürte, daß er immer schneller wurde. Direkt vor ihm war eine gemauerte Wasserrutsche, die direkt auf die Schaufelräder zuführte. Sie befanden sich jetzt im Schatten der Brücke. Alles ging sehr schnell. Der Fluß war weiße Gischt und brausendes Tosen. Als er näher kam, hörte er das Knarzen der hölzernen Räder.
Marek erreichte das erste Rad; er packte eine Speiche, schwang sich herum, stellte sich auf eine Schaufel und ließ sich vom Rad in die Höhe tragen, bis er nicht mehr zu sehen war.
Bei ihm sah es ganz einfach aus.
Jetzt hatte Kate das zweite Rad in der Mitte der Brücke erreicht. Behende griff auch sie
Weitere Kostenlose Bücher