Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Punkt, der gut und gerne seine hundert Kilo wiegt, schwitzte wie ein Walross. Dann kam ein Bach. Na, da half nun nichts! Da mussten wir rüber, wenn wir nicht steckenbleiben wollten. Die Herren trugen die schimpfenden Frauen. Mit nassen Schuhen und Strümpfen kamen wir dann glücklich alle drüben an. Aber nun waren wir auch direkt in des Teufels Küche gestolpert! Wir hatten keine Ahnung, dass wir soeben verbotenerweise die Grenze überschritten hatten. Wir wanderten ein paar Schritte weiter, mit einem Mal – das hast du nicht gesehen! – stürmten von allen Seiten fremde Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett auf uns los, dass wir zu Tode erschraken. Teufel noch mal! Das gab eine Aufregung! Wir glaubten, unser letztes Stündlein sei gekommen. Wir wurden umringt und mussten nach Rettenburg mit, dem nächsten Grenzort, wo man uns in eine leerstehende Baracke sperrte. Das war das dicke Ende unserer großartigen Flucht aus Timpetill. Da saßen wir nun hinter Schloss und Riegel wie auf frischer Tat ertappte Schmuggler. Am nächsten Tag erst kam so eine Art hohes Tier und verhörte uns. Krog und Beese machten die Wortführer. Sie verhandelten aufgeregt mit dem fremden Offizier, der eine andere Sprache sprach. Der Kerl sah aus wie ein Räuberhauptmann in Uniform. Er ließ sich nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen. Er grinste nur höhnisch, so dass ich ihm am liebsten eine gelangt hätte, und behauptete unentwegt: ›Alles Schmuggler! Alles beschlagnahmt!‹ Dabei holte er triumphierend den Kaffee und die Würste aus unseren Rucksäcken. Beese redete sich heiser, um ihm zu erklären, dass wir aus Timpetill wären, dass wir alle nur einen Ausflug gemacht hätten, weil wir unsere Kinder erschrecken wollten und so weiter. Der Kerl mit dem Räubergesicht schüttelte sich nur vor Lachen: ›Kinderschreck! General melden!‹ Und damit verschwand er. Der General schien am Ende der Welt zu wohnen. Es dauerte vierundzwanzig Stunden, bis sich das Räubergesicht wieder blicken ließ. Diesmal war noch ein anderer Offizier bei ihm. Eine richtige Vogelscheuche in voller Kriegsbemalung. Der hörte sich Beeses Geschichte schweigend an, machte sich stundenlang Notizen auf lauter kleinen Zettelchen, mit denen er zum Schluss seine Pfeife anzündete. Dann ging er weg und sagte: ›Ich muss telegraphieren!‹ Wohin er telegraphiert hat, haben wir nie erfahren. Wahrscheinlich zum Mond. Wir waren schon ganz verzweifelt. Die Frauen fingen zu heulen an. Amtsrichter Dröhne wurde mit Verwünschungen überhäuft. Wenn er sich nicht hinter seinem Lagerplatz verschanzt hätte, wäre es ihm an den Kragen gegangen. Am selben Abend kam dann endlich der General. Er war so alt, dass ich am liebsten sofort ein Beerdigungsinstitut verständigt hätte. Beese musste wieder Bericht erstatten, aber er war so heiser von den ausgestandenen Aufregungen und dem vielen Reden, dass er nur noch piepsen konnte.«
»Federwischer kann stundenlang ohne Unterbrechung reden«, warf ich ein.
»Teufel noch mal! Das Reden hat ihm damals nicht das Geringste genützt«, brummte Krüger. »Zwei Tage und zwei Nächte waren wir eingesperrt, bis diese Idiotenbande endlich begriffen hatte, dass wir harmlose Wanderer waren, die zu ihren Kindern nach Hause wollten. Endlich ließ man uns frei und brachte uns zur Grenze zurück. Wir kletterten über den Bach, und nun fing eine Hetzjagd an, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Wir waren vor Angst und Sorge um euch Kinder halb verrückt. Wir waren nun alles in allem schon drei volle Tage von Timpetill weg. Diesmal wurde nicht gerastet und nicht geknobelt. Im Sturmschritt ging es über Stock und Stein durch den Reckenwald, und nach knapp drei Stunden standen wir am Waldesrand. Vor uns lag Timpetill. Was hatten nur unsere unglückseligen Kinder inzwischen durchgemacht …!
»Halt, Herr Krüger!«, unterbrach ich ihn. »Was wir Kinder erlebt haben, erzähle ich !«
Ich zeigte ihm, was ich schon alles geschrieben hatte. »Sehen Sie«, sagte ich. »Jetzt fange ich gerade das fünfte Kapitel an: ›Der Rummel geht los!‹«
Krüger blickte ehrfürchtig auf die vielen beschriebenen Blätter.
»Donnerwetter!«, sagte er. »Wenn Sie das wegschicken, kostet das aber eine Masse Porto!«
»Ich schicke es als Drucksache«, sagte ich.
»Wenn Sie fertig sind, müssen Sie es mir auch einmal zu lesen geben«, bat er.
»Abgemacht!«, erwiderte ich. »Ich danke Ihnen auch noch schön für Ihre Erzählung.«
»Keine Ursache!«, sagte er und
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