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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Winterfeld
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trugen sie auf den Armen. Die wollten wir euch lieber nicht überlassen. Ihr würdet mit den Zwei- und Dreijährigen noch genug zu schaffen haben. Die Männer trugen Rucksäcke mit Proviant. Wir wollten weit in den Reckenwald hineinwandern, damit ihr uns nicht am Ende noch ausspionieren konntet. Als ganz Timpetill beisammen war, marschierten wir los. Zuerst war es sehr lustig. Der eingeschobene Feiertag stimmte uns fröhlich. Die Vögel zwitscherten wie toll. Eichhörnchen kraxelten die Stämme rauf und runter, und hin und wieder blickte uns ein Rehlein ganz erstaunt nach. Bald stimmten einige Herren ein Liedchen an. Wir fühlten uns in unsere Jugendzeit zurückversetzt, als wir noch auf Abenteuer in den Reckenwald ausgezogen waren. An der Spitze marschierte der Bürgermeister Krog im Gehrock und Zylinder, Amtsrichter Dröhne in Knickerbockern, Assessor Punkt im hellen Straßenanzug, Postdirektor Wittner in Uniform und Direktor Beese in seiner Wandertracht, die er immer anhat, wenn er mit euch einen Schulausflug macht. Hinterher kam der lange Zug der Eltern, wie Kraut und Rüben durcheinander, und die Lehrlinge, Gesellen und Dienstmädchen. Ich ging Arm in Arm mit Werkmeister Giese vom Wasserwerk, meinem alten Klassenkameraden. Bis zum Mittag wanderten wir frisch drauflos. Dann wurde Rast gemacht. Die Babys bekamen ihre Fläschchen. Wir trugen trockene Äste und Laub zusammen, um Kaffee zu kochen. Bürgermeister Krog und Direktor Beese zankten sich über die beste Art des Feuermachens. Inzwischen hatte Otto, der Heizer vom Rathaus, Feuer gemacht. Nach dem Essen legten wir uns alle aufs Ohr. Zwei Stunden später wurde zum Aufbruch geblasen. Herr Meißner, der Zugführer bei der freiwilligen Feuerwehr ist, hatte sein Signalhorn mitgebracht. Bald waren wir mitten drin im Reckenwald. Aber mit einem Mal wussten wir nicht vor und zurück. Eine furchtbare Aufregung herrschte. Wir hatten uns verlaufen. Himmelherrgott! Das war eine schöne Geschichte! Es gab ein wildes Gezanke, wie wir weitergehen sollten. Links oder rechts. Wir standen vor einer unbekannten Wegkreuzung. Krog und Beese lagen sich wieder in den Haaren. Der eine wollte links, der andere rechts. Alle übrigen hatten keine Ahnung. Schließlich knobelten die beiden mit Stein, Schere und Papier. Wer gewann, sollte die Richtung bestimmen.«
    Hier unterbrach ich Krüger: »Was ist denn das: Stein, Schere und Papier?«, fragte ich interessiert. Krüger kratzte mit einer Nagelfeile in seiner Pfeife herum, die ihm beim Erzählen ausgegangen war, und erklärte mir das Knobeln mit Stein, Schere und Papier: »Das ist ganz einfach! Du machst eine Faust und hebst sie hoch. Nun schlägst du dreimal in die Luft. Beim dritten Mal streckst du entweder die flache Hand aus, dann ist es Papier, oder nur zwei Finger, dann ist es Schere. Du kannst aber auch die Faust geschlossen halten, dann ist es Stein. Ich haue gleichzeitig mit dir auch dreimal in die Luft. Mache ich die Schere und du das Papier, habe ich gewonnen, weil die Schere das Papier schneidet. Mache ich die Faust, das heißt den Stein, dann hast du gewonnen, weil das Papier den Stein einwickelt!«

    »Kapiert«, sagte ich. »Und wenn ich die Schere mache und Sie den Stein, dann haben Sie gewonnen, weil die Schere den Stein nicht schneiden kann, nicht wahr?«
    »Donnerwetter!«, rief er. »Sie sind doch ein heller Kopf, Manfred! Sie sollten in den Postdienst eintreten!«
    »Ich will Ingenieur werden«, sagte ich ernst.
    »Nein so was! Ingenieur! Alle Achtung!« Herr Krüger schaute mich bewundernd an.
    »Vielleicht erfinde ich einmal eine postalische Verbesserung«, sagte ich noch, um ihn ein bisschen zu trösten. »Aber erzählen Sie weiter, Herr Krüger! Wer hat gewonnen? Krog oder Federwischer?«
    »Leider Herr Direktor Beese«, fuhr Krüger in seiner Erzählung fort. »Krog machte das Papier und Beese die Schere. So kam es, dass wir in unser Unglück rannten. Himmelkreuzdonnerwetter! Wir liefen natürlich den falschen Weg weiter! Wir entfernten uns immer mehr von Timpetill. Stundenlang ging es nun bergauf und bergab. Die Frauen jammerten, dass sie nie mehr nach Hause kämen. Sie schimpften auf ihre Männer und bereuten es sehr, dass sie sich überhaupt auf eine so blödsinnige Sache eingelassen hatten. Direktor Beese war ganz kleinlaut geworden. Bürgermeister Krog war wütend, weil ihm jemand auf seinen Zylinder getreten war. Postdirektor Wittner hinkte auf einem Bein, er hatte sich den Fuß verstaucht. Und Assessor

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