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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Winterfeld
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der weit über die Grenzen unseres Nachbarlandes reicht.
    Ich verstehe mich mit Herrn Briefträger Krüger sehr gut. Ich erwies ihm einmal einen Dienst, als er einen Wertbrief an Herrn Magistratsobersekretär Müller im Wirtshaus zum »Goldenen Posthorn« auf dem Geißmarkt liegen gelassen hatte. Herr Krüger trinkt ganz gern hin und wieder ein Gläschen Bier.
    Ich verstehe nicht, warum die Erwachsenen so gern Bier trinken. Bier schmeckt doch scheußlich bitter.
    Herr Krüger hatte den Brief in der Schenke vergessen. Er radelte zurück, um ihn zu holen, aber der Wertbrief war verschwunden. Ich traf den verzweifelten alten Mann zufällig vor dem »Goldenen Posthorn« und erfuhr von seinem Unglück. Sofort ließ ich mir im Wirtshaus das Gästebuch geben und eine genaue Personenbeschreibung der Reisenden, die dort abgestiegen waren. Das waren der Herr Viehhändler Brommel aus Klein-Möckerndorf und ein Herr Antonius Fiedel aus Kollersheim. Die beiden wollten noch am selben Tage weiterreisen. Rasch schwang ich mich auf Krügers Postrad, radelte zu Thomas, packte ihn hinten drauf und flitzte mit ihm zum Bahnhof, der ziemlich weit draußen vor der Stadt liegt.
    Unterwegs berichtete ich ihm, was los war.
    Wir trafen im richtigen Augenblick auf dem Bahnhof ein. Der Kleinbahnzug aus Kollersheim wollte gerade abfahren. Er kommt nur einmal am Tag durch Timpetill. Am andern Tag fährt er wieder zurück. Ich rannte schnurstracks zum Stationsvorsteher Werner und bat ihn, mit dem Abfahrtssignal noch zu warten. Inzwischen ging Thomas die zwei Wagen des Zuges entlang und rief laut:
    »Herr Brommel!! Herr Fiedel!! Herr Brommel!! Herr Fiedel!!
    Die Passagiere, zwei Frauen und fünf Männer, steckten neugierig die Köpfe aus den Fenstern.
    Zwei Herren schrien:
    »Hallo! Hier! Was gibt’s denn?«
    Dies waren Herr Brommel und Herr Fiedel. Thomas zog höflich die Mütze und sagte so laut, dass alle es hören konnten:
    »Entschuldigen Sie bitte, meine Herren, aber einer von Ihnen muss irrtümlich einen Wertbrief an Herrn Magistratsobersekretär Müller eingesteckt haben!«
    Die beiden wurden furchtbar wütend und schimpften wie die Rohrspatzen. Besonders Herr Antonius Fiedel regte sich entsetzlich auf. Aber Thomas ließ nicht locker.
    »Dann muss ich den Herrn Gendarmerieoberwachtmeister Kogel holen, meine Herren«, sagte er.
    Herr Fiedel verstummte und wurde blass. Er fingerte an seinen Taschen herum und sagte: »Ah … hm … vielleicht … immerhin … es könnte ja sein, dass ich irrtümlicherweise etwas eingesteckt habe!«
    Und auf einmal zauberte er den Wertbrief aus seiner hinteren Hosentasche hervor.
    Thomas riss ihm den Brief aus der Hand.
    »Vielen Dank, Herr Antonius Fiedel! Und glückliche Reise!«, sagte er und grinste unverschämt.
    So bekam Briefträger Krüger seinen Wertbrief wieder. Seitdem behandelt er mich mit großer Achtung. Er besucht mich manchmal in meinem Mansardenstübchen, um mit mir zu plaudern. Wir reden über alles Mögliche. Über seine und meine Familienverhältnisse, über das Wetter, über den zukünftigen Raketenpostverkehr, über Sternschnuppen und über Briefmarken und ähnliches mehr.
    Vielleicht hat Herr Krüger mir auch aus Dankbarkeit die ganze Geschichte von dem verunglückten Ausgang der Elternverschwörung erzählt, den wir Kinder eigentlich niemals erfahren sollten.
    »Kreuzdonnerwetter! Wir wollten euch Rackern nur eine tüchtige Lehre erteilen!«, erzählte er und zündete sich umständlich seine Pfeife an. Sein Tabak ist kein Genuss für meine Nase. Ich schenke ihm manchmal von meinem Taschengeld einen besseren. Aber den hebt er sich für zu Hause auf.
    »Teufel noch mal! Wir hatten doch nie die Absicht gehabt, länger als vom frühen Morgen bis spät in die Nacht wegzubleiben!«, begann Krüger und wischte sich mit seinem großen bunten Taschentuch den Schweiß aus dem Nacken. »Das hätten Sie sehen sollen, junger Herr, was da im Rathaus für ein Spektakel war!« Krüger nennt mich oft »Sie«. Das finde ich ganz anständig von ihm. Dann fuhr er fort:
    »Bürgermeister Krog schrie in einem fort: ›Wir müssen ein Exempel statuieren!‹ Magister Drops wetterte, dass er alle Kinder auf Schadenersatz verklagen würde, aber Assessor Punkt meinte, es liege juristisch kein klarer Tatbestand vor!«
    Krüger kicherte in seinen Schnauzbart und blinzelte mich lustig an.
    »Wachtmeister Kogel schlug vor, die ganze Verbrechergesellschaft für drei Tage einzulochen«, erzählte er weiter. »Das Ding

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