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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Winterfeld
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auf den Brunnenrand. Oskar griff mit beiden Händen hinein und warf einen Haufen Schokoladentafeln und Bonbonschachteln unter die Kinder. Na, das war ein Wonnegeschrei. Die Kinder balgten sich wie die Spatzen um die Herrlichkeiten. Jetzt liefen auch noch die letzten, die bisher zu uns gehalten hatten, von uns weg. Sie wollten nicht zu kurz kommen. Thomas, Heinz und ich standen mit einem Mal allein da.
    Oskar streute noch immer Schokolade und Bonbons unter die Kinder.
    »Das gibt’s umsonst! Das gehört alles euch!«, rief er großspurig.
    »Dieb!«, stieß Thomas zwischen den Zähnen hervor. Wir waren machtlos. Die Kinder beachteten uns überhaupt nicht mehr. Sie stopften sich die Mäuler und Taschen voll. Dabei hüpften sie jauchzend um den Brunnen. Ein wahrer Freudentaumel.
    Oskar nutzte seinen Sieg auch schamlos aus.
    »Das war nur eine Kostprobe!«, brüllte er. »Jetzt holen wir uns noch mehr! Puppen und Bleisoldaten! Bälle und Luftgewehre! Alles, was uns Spaß macht!«
    »Hurra!«, schrien die Kinder.
    Oskar sprang vom Brunnen herunter. »Vorwärts, mir nach!«, kommandierte er.
    »Halt!«, rief Thomas, so laut er konnte. »Seid ihr denn alle übergeschnappt!?« Er wollte zu Oskar hin, aber Heinz und ich hielten ihn fest. »Lass!«, bat ich ihn hastig.
    »Wir können doch nichts ausrichten!«, beschwor ihn Heinz Himmel.
    »Man müsste sie alle mit den Köpfen gegeneinanderstoßen!«, schnaufte Thomas wütend. Er wollte sich losreißen, aber wir ließen nicht locker. Oskar hatte kehrtgemacht und schüttelte die Faust gegen uns.
    »Haut den Duckmäusern den Buckel voll!«
    Die Kinder nahmen eine drohende Haltung ein. »Angsthasen! Waschlappen! Muttersöhnchen!«, dröhnte es in unsere Ohren. Ein paar Steine flogen uns um die Köpfe. Heinz Himmel wurde blass, aber seine Augen leuchteten mutig. Thomas war ganz rot vor Wut. Ich blickte mich nach Waffen um. Auf der Rathaustreppe war nichts zu holen. Die Kinder stürmten plötzlich auf uns los.
    »Ich glaube, wir ziehen uns zurück!«, sagte ich ruhig. Aber mir klopfte das Herz bis zum Hals.
    Wir saßen in der Falle. Die Angreifer sprangen schon die Treppe herauf. Thomas gab dem ersten einen mächtigen Stoß vor die Brust, dann drehte er sich blitzschnell um und rüttelte an der Klinke des Rathaustores. Wir hatten Glück! Das Tor sprang auf. Mit knapper Mühe und Not konnten wir hineinflitzen. Ich bekam leider noch einen Fausthieb ins Kreuz. Aber es tat gar nicht weh. Wir schlugen die Tür zu und stemmten uns dagegen. Der Schlüssel steckte im Schloss. Thomas drehte ihn rasch herum. Schwer atmend standen wir in der düsteren kühlen Halle. Wir rührten uns nicht. Draußen pochten schwache Kinderfäuste gegen das Tor. Dann wurde es still. Ich trat an ein schmales, buntes Fenster und blickte hinaus. Der Geißmarkt sah durch die Butzenscheiben ganz gelb und lustig verzerrt aus. Die Kinder liefen Hurra schreiend hinter Oskar her. Er schwenkte den leeren Sack wie eine Fahne über dem Kopf und bog gerade in die Langengasse ein, wo die meisten Geschäfte sind. Jetzt waren die Kinder alle verschwunden. Wir hörten ihr Trappeln und Schreien schwächer werden.
    »Gott sei Dank! Sie haben uns vergessen«, sagte Heinz. Seine Lippen zitterten ein bisschen, aber er hielt sich sehr tapfer.
    »Das hätte leicht schiefgehen können!«, seufzte ich.
    Thomas lachte. Es klang etwas krampfhaft. »Wenn das Tor nicht offen gewesen wäre, könnten wir jetzt unsere Knochen einzeln auflesen«, bemerkte er.
    »Was machen wir nun?«, dachte ich laut.
    »Ich will wissen, was diese Idioten anstellen«, sagte Thomas.
    »Du wirst ihnen doch nicht nachlaufen?«, rief Heinz erschrocken. Wir hörten ein fernes Triumphgeheul.
    »Jetzt sind sie durch die Wohnungen in die Läden eingedrungen!«, sagte ich.
    Der kleine Heinz war ganz entsetzt. »Schrecklich!«‚ sagte er.
    »Der blutige Oskar hat ihnen die Köpfe verdreht«, wetterte Thomas. »Es ist ja auch ein Blödsinn von den Eltern, was sie sich da ausgedacht haben!«, fügte er missbilligend hinzu.
    »Du glaubst also auch nicht, was in dem Aufruf steht?«, fragte ich.
    Wir hatten uns auf eine Bank in der Halle gesetzt, um uns von dem ausgestandenen Schrecken zu erholen. Hier im Rathaus waren wir vor weiteren Angriffen sicher.
    »Nicht die Bohne!«, versicherte Thomas und spuckte verächtlich auf die Steinfliesen.
    »Wenn die Eltern aber doch nicht wiederkommen?«, warf ich ein.
    »Geheimrat, quatsch nicht!«, brummte Thomas. »Ich denke mir das

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