Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Ziegen, Gänse, Enten, Kühe und Pferde sind auf die Weide zu führen! Das gehört zum Ernährungskommando. Die Kinder, die die Tiere auf den Weiden hüten, werden genauso abgelöst wie alle anderen. Hühner-, Gänse- und Enteneier sind bei Erna Schlüter im ›Goldenen Posthorn‹ abzuliefern!«
Marianne stand auf. »Ich bitte ums Wort!«
»Kommandantin Marianne hat das Wort«, sagte Thomas. Er war froh, dass er seine Kehle ein bisschen ausruhen konnte. Er war schon sehr heiser.
»Es ist gleich ein Uhr«, sagte Marianne energisch. Sie hatte gar keine Angst, vor so vielen Kindern zu reden.
»Das Küchenpersonal muss ins ›Goldene Posthorn‹ gehen, sonst kriegen wir nichts zu essen«, fuhr sie munter fort.
»Bravo!«, schrie der dicke Paul.
Die Kinder klatschten erfreut in die Hände. »Wir haben Hunger!«, schrien sie im Chor.
»Ruhe!«, rief Marianne. »Bis zum Essen dauert es noch eine Stunde. Es muss erst gekocht werden.« Sie wandte sich an Erna Schlüter. »Erna, such dir dein Küchenpersonal aus und geh kochen! In der Speisekammer vom ›Goldenen Posthorn‹ findest du alles, was du brauchst. Schreib auf, was du genommen hast, und schick mir nachher den Zettel!«
»Tüchtig von Marianne«, dachte ich. »Sie ist immer gleich im Bilde.«
»Jawohl!«, erwiderte Erna Schlüter. »Was soll’s denn heute geben?«, fragte sie.
»Kartoffelsuppe mit Würstchen«, sagte Marianne prompt. Ein großes Geschrei setzte im Saal ein.
»Pfui! Herrlich! Nein! Au ja!«, tönte es wild durcheinander.
Ludwig Keller gongte wie ein Verrückter. Allmählich beruhigten sich die Kinder. Marianne stemmte die Arme in die Seiten und beugte sich vor. Sie machte zornige Kulleraugen und rümpfte die Nase.
»Wer keine Kartoffelsuppe mag, der kann ja ins Schlaraffenland ziehen!«, rief sie laut. »Gut erzogene Kinder essen alles!«, fügte sie belehrend hinzu.
»Wir sind doch nicht in der Schule!«, beschwerte sich ein Mädchen.
»In der Schule kriegst du auch keine Kartoffelsuppe«, erwiderte Marianne schlagfertig.
Die Kinder lachten. Jetzt kletterte Erna Schlüter von der Bühne in den Saal. »Die Mädchen, die kochen können, sollen sich melden!«, kommandierte sie.
Fast alle älteren Mädchen sprangen auf und zappelten mit den Armen. Erna wählte sich zwölf aus, auch die dicke Minna Pütz, und zog mit ihnen zum Saal hinaus.
»Lasst die Suppe nicht anbrennen!«, scholl es hinter ihnen her.
»Und tut recht viel Würstchen hinein!«, rief der dicke Paul.
Marianne setzte sich wieder. Thomas redete weiter.
»Nach dem Essen ist Generalappell für alle auf dem Geißmarkt!«, erklärte er. »Die Kinder werden auf die Kommandos verteilt. Die Kommandanten teilen ihre Mannschaft in zwei Hälften. In die Diensttuenden und die Freizeitler! Dann geht die Arbeit los. Die Diensttuenden beziehen ihre Posten. Die Kleinen werden in die Schule gebracht. Die Kinder können sich zu den verschiedenen Posten freiwillig melden. Sind es zu wenige, bestimmt der Kommandant die fehlenden. Die Kinder sind so auszusuchen, dass sie sich für die angewiesene Arbeit eignen. Wer sehr rasch und gut schreiben kann, kriegt die Schreibarbeit im Rathaus. Kinder, die mit Tieren umzugehen verstehen, werden als Hirten auf die Weiden geschickt. Mädchen, die Ziegen und Kühe melken können, müssen es sagen! Wir brauchen sehr viel Milch. Die paar lumpigen Kannen, die aus der Molkerei geschickt werden, reichen knapp zum Frühstück. Die technischen Helfer wird Geheimrat bestimmen. Alle Mädchen, die die kleinen Kinder beaufsichtigen sollen, müssen im Betragen in der Schule ein ›Sehr Gut‹ haben. Wer seine Arbeit unerlaubt im Stich lässt, wird mit halber Essensportion bestraft. Die Fleißigen kriegen jeden Abend ein Stück Schokolade oder drei Bonbons!«
Hier wurde Thomas von einem minutenlangen Beifallsklatschen unterbrochen. Nachdem sich der Lärm gelegt hatte, sprach Thomas weiter:
»Alle Jungen über zehn, die nicht aus besonderen Gründen einen anderen Dienst tun müssen, kommen in die Schutztruppe!«, rief er mit erhobener Stimme.
Ein schallendes Hurrageschrei begrüßte diese Mitteilung. Die Begeisterung bei den Jungen war kolossal.
»Hurra! Eine Schutztruppe!«, brüllten sie entzückt. Sie waren sofort mit Leib und Seele bei der Sache.
Thomas stand auf. Er verschaffte sich mit einer energischen Handbewegung Ruhe.
»Oberster Kommandant der Schutztruppe bin ich!«, verkündete er mit lauter Stimme. »Kommandanten der Schutztruppe werden Fritz
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