Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
verführt, die Läden zu plündern. Du hast Thomas Wank und seine Freunde mit frechen Beschimpfungen bedroht. Du hast gefaulenzt und bist herumgestrolcht, während die andern gearbeitet haben. Du hast Jungen gefangengenommen, die für das allgemeine Wohl der Kinder von Timpetill tätig waren, und sie verhauen lassen. Als du gesehen hast, dass alle deine Gemeinheiten nichts nützen, hast du einen Aufstand angezettelt und bist mit deinen Piraten über den Geißmarkt hergefallen. Du hast Heinz Himmel von der Elektrischen gestoßen, wodurch er sich den Fuß verstaucht hat. Was kannst du zu deiner Verteidigung vorbringen? Sprich!« Ich ließ das Blatt sinken und blickte über den Kneifer hinweg auf Oskar. Er stand mit gesenktem Kopf da und rührte sich nicht.
Die vielen Kinder in der Halle wurden unruhig.
»Huuuuuuuh!«, ertönte es dumpf, um Oskar zu erschrecken. Andere schrien: »Oskar muss Hiebe bekommen!« Ludwig Keller gongte. Thomas rief streng: »Ihr dürft nicht in die Verhandlung eingreifen! Das ist verboten! Ruhe jetzt!«
Die Kinder verstummten.
»Geheimrat, weiter bitte!«, sagte Thomas. Ich setzte meine Anklagerede fort.
»Willi Hak, steh auf!«, befahl ich.
Willi grinste verächtlich und blieb sitzen. Aber da sprangen zwei Schutztruppler zu ihm hin und rissen ihn hoch. Willi machte ein verdutztes Gesicht. Er fuhr sich mit der Hand durch seinen roten Schopf und brummte:
»Was wollt ihr denn von mir?«
»Ich klage dich an, durch deinen bösen Streich die Kinder von Timpetill in Not und Gefahr gebracht zu haben!«, sagte ich mit erhobener Stimme. »Du hast dem Kater Peter einen Wecker an den Schwanz gebunden. Peter hat schreckliches Unheil angerichtet und unsere Eltern in große Wut versetzt. Sie haben uns deswegen verlassen. Wir wissen nicht, wo sie sind, und wann sie wiederkommen! Das haben wir dir zu verdanken! Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?«
»Ich kann doch nicht wissen, dass das blöde Tier so ein Affentheater anstellt«, stieß Willi hastig hervor.
»Frechheit! Bengel!«, ertönten Jungen- und Mädchenrufe.
»Hannes Krog!«, rief ich.
Hannes stand rasch auf.
»Du bist mitangeklagt! Du hast dich an allen Verbrechen von Oskar und Willi beteiligt! Hast du etwas zu deiner Verteidigung vorzubringen?«
»Wieso?«, fragte Hannes dumm. Er schien sehr verwirrt. Die Kinder lachten schallend auf.
Ich hob die Hand. »Ruhe!«, schrie ich. Der Kneifer fiel auf die Kiste, und ich musste ihn wieder aufsetzen. Dann wandte ich mich mit feierlicher Stimme an die Angeklagten.
»Im Namen aller Kinder von Timpetill verlange ich für die drei Angeklagten die strengste Bestrafung! Wir säßen alle in der allerschlimmsten Patsche, wenn es uns nicht gelungen wäre, die Piratenhäuptlinge unschädlich zu machen. Darum bitte ich das hohe Gericht um ein gerechtes Urteil!« Ich setzte mich.
Die Kinder klatschten wie rasend in die Hände und schrien: »Bravo, Geheimrat!«
Jetzt stand Thomas auf. Ludwig Keller schlug auf den Gong. »Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück«, sagte Thomas.
Die Kommandanten sprangen auf. Sie liefen zu einer Tür, die in die Nebenräume des Tattersalls führt. Thomas, Marianne und ich folgten ihnen; Heinz Himmel durfte wegen seines kranken Fußes sitzenbleiben. Wir kamen durch einen Gang in die Stallungen. Hier hielten wir rasch unsere Beratung ab. Der Aufenthaltsort war nicht sehr gemütlich. Es roch ein bisschen nach Pferdemist. Aber das störte uns nicht.
»Ich bin dafür, dass die drei so lange im Gendarmerieamt eingesperrt bleiben, bis die Eltern zurückkommen«, schlug Max Pfauser vor.
»Eine sichere Sache«, stimmte Robert Punkt ihm zu.
»Pfui, ich würde mich totgraulen!«, schrie Röschen Traub entsetzt.
»Sie sollen sich doch auch fürchten«, sagte Karl Benz.
»Das Einsperren wird wenig Wirkung auf die drei haben«, meinte Thomas. »Sie haben den ganzen Tag nichts zu tun, und wir müssen ihnen noch zu essen bringen.«
»Ich finde es überhaupt gemein, Menschen einzusperren«, meldete sich Marianne. Sie rümpfte angeekelt die Nase. »Sie müssten eine Strafarbeit bekommen«, fügte sie hinzu.
»Geben wir ihnen einen Tag nichts zu essen!«, rief der dicke Paul. »Das muss eine entsetzliche Strafe sein!«
Die anderen protestierten.
»Das kann man nicht machen«, sagte ich. »Man lässt selbst einen Verbrecher nicht hungern.«
»Lasst sie nur im ›Goldenen Posthorn‹ die Kartoffeln schälen«, schlug Erna Schlüter vor. »Das ist eine harte Strafe
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