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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Winterfeld
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Marianne besorgt: »Was ist mit Heinz?«
    Marianne blickte zu uns auf und machte betrübte Augen. »Ich glaube, er ist bewusstlos«, flüsterte sie. Sie fühlte Heinz den Puls und schüttelte bedenklich den Kopf. Plötzlich schlug Heinz die Augen auf. Er sah sehr blass aus und sagte leise: »Mein Fuß tut schrecklich weh!«
    Thomas bückte sich und zog ihm rasch den Schuh aus. Das Fußgelenk war dick verschwollen.
    »Verstaucht!«, brummte Thomas teilnahmsvoll.
    Wir atmeten auf. Das war nicht so schlimm. Inzwischen waren viele Kinder herbeigelaufen und drängten sich um uns. Sie blickten besorgt auf den kleinen Heinz, der mit ängstlichen Augen in Mariannes Arm lag.
    »Muss ich sterben?«, fragte er schwach.
    Thomas lachte ihn gutmütig aus. »Ach was!«, rief er tröstend. »Morgen humpelst du schon wieder herum!«
    Heinz lächelte glücklich.
    »Du bist sehr tapfer gewesen!«, sagte ich feierlich.
    »Danke!«, erwiderte der kleine Heinz.
    »Wir müssen ihm einen Apfel schenken!«, schlug der dicke Paul vor. »Bewilligt!«, lachte Marianne.
    »Jetzt bringen wir ihn nach Hause!«, bestimmte Thomas.
    »Darf ich zu Marianne?«, fragte Heinz schüchtern.
    »Ehrensache!«, rief Marianne rasch. »Ich werde dich pflegen!«, fügte sie hinzu.
    Wir richteten Heinz vorsichtig auf und stellten ihn auf den gesunden Fuß. Thomas und ich fassten ihn unter und führten ihn langsam über den Geißmarkt in die Pfarrgasse. Unterwegs standen die Kinder Spalier und klatschten in die Hände, wenn wir mit Heinz vorbeikamen. Seine tollkühne Eroberung der Elektrischen hatte sich rasch herumgesprochen und löste große Begeisterung aus. Erna Schlüter war ins »Goldene Posthorn« gelaufen und hatte eine Tafel Kochschokolade geholt. Sie überreichte sie Heinz feierlich. »Da!!«, sagte sie. »Dann tut der Fuß nicht mehr so weh!«
    Heinz nahm die große Tafel Kochschokolade glückstrahlend in Empfang und humpelte mit uns weiter.
    Auf dem Geißmarkt sah es wieder schlimm aus. Überall lagen Kartoffeln herum; der heilige Matthäus hing noch im Kran über dem Brunnen; der Schlauch am Hydranten; ein Teil des Platzes stand unter Wasser; zerbrochene Stöcke lagen verstreut auf dem Pflaster und zerrissene Jacken bedeckten den Boden.
    Auch die Arbeitseinteilung war aus den Fugen geraten: Lotte Dröhne rekelte sich faul vor dem Postamt; das Rathaus war verlassen; die Schutztruppwachmannschaften hatten sich aufgelöst; die Mädchen aus dem »Goldenen Posthorn« standen in Gruppen auf dem Geißmarkt und schwatzten aufgeregt miteinander.
    Thomas blieb stehen.
    »An die Arbeit!«, brüllte er laut über den Platz.
    Die Kinder stoben wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm auseinander und machten sich emsig daran, Ordnung zu schaffen.

23
    Gericht
    Am nächsten Morgen klappte der Betrieb wie am Schnürchen. Um sieben Uhr war die gesamte Schutztruppe zum Appell auf dem Geißmarkt angetreten. Hinterher gab es Frühstück. Dann wurde die Arbeit aufgenommen. Alle Kinder stellten sich pünktlich zum Dienst ein; jeder strengte sich gewaltig an, seine Pflicht zu tun. Die Organisation bewährte sich. Die Kleinen zogen mit Trudi Rabe und Röschen Traub in die Schule; Pussi Tucher übernahm ihr Amt als Telefonfräulein; Erna Schlüter und die Köchinnen wirtschafteten geschäftig im »Goldenen Posthorn«; das Elektrizitätswerk lieferte Strom; das Wasserwerk Wasser; die Kommandanten erteilten im Rathaus Befehle; Robert Punkt schickte seine Späher nach allen Richtungen aus, damit sie nach den Eltern Ausschau hielten; Marianne ließ die Wohnungen auf Ordnung und Sauberkeit kontrollieren. Die Kinder von Timpetill rackerten sich fleißig ab, um die fehlenden Eltern, so gut es ging, zu ersetzen. Die Schutztruppe wurde zur großen Reinigung eingesetzt. Mit Besen und Schaufeln, mit Mistkarren und Wassereimern zogen sie durch alle Gassen und Straßen. Sie reinigten Fahrdämme und Bürgersteige, fegten den Schmutz zusammen und schafften ihn zur Abladestelle. Thomas selber hatte die Führung übernommen. Er passte auf, dass Timpetill sorgfältig gesäubert wurde, und vergaß auch nicht den kleinsten Winkel.
    Den Geißmarkt hatten wir schon am Tage vorher aufgeräumt. Der heilige Matthäus stand wieder auf seinem Sockel. Seine Nase hatte sich tadellos ankleben lassen. Sie saß ein bisschen schief, aber das hat später niemand bemerkt. Die Kartoffeln hatten wir alle aufgelesen und ins »Goldene Posthorn« getragen. Das Lastauto war von einer großen Schutztruppmannschaft in

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