Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Winterfeld
Vom Netzwerk:
und sehr praktisch für uns.«
    Ihr Vorschlag fand Anerkennung.
    »Ernas Idee ist sehr vernünftig«, meinte Thomas. »Ich bin dafür, Willi und Hannes zum Kartoffelschälen zu verurteilen.«
    Das Urteil wurde einstimmig angenommen.
    »Aber Oskar muss schwerer bestraft werden«, fuhr Thomas fort. »Ich glaube, dass die allerschwerste Strafe, die einen Menschen treffen kann, die Ausschließung aus der Gemeinschaft ist. Wir lassen Oskar frei, aber niemand darf mit ihm sprechen, niemand mit ihm spielen. Wir strafen ihn mit Verachtung. Was meint ihr?«
    »Sehr gut!«, sagte ich.
    »Und wer gibt ihm zu essen?«, fragte der dicke Paul.
    »Er soll sich das Essen auf dem Hof des ›Goldenen Posthorn‹ abholen«, warf Fritz Schlüter ein.
    »Abgemacht!«, rief Thomas. »Seid ihr einverstanden?«
    »Jawohl!«, erwiderten wir im Chor.
    »Dann kommt!«, sagte Thomas.
    Wir liefen wieder in den Tattersall zurück. Die Kinder vollführten einen großen Lärm. Sie lachten, schwatzten und schrien durcheinander. Als wir hereinkamen, verstummten sie schnell, denn sie waren auf das Urteil mächtig gespannt.
    Wir setzten uns wieder hinter den Richtertisch. Oskar, Willi und Hannes hockten unruhig auf der Anklagebank. Sie schauten scheu zu uns herüber. Unsere feierlichen Gesichter jagten ihnen einen gehörigen Schreck ein. Der Piratenhäuptling hatte völlig den Mut verloren. Er fürchtete sich sehr vor unserem Urteil. Vielleicht erkannte er jetzt doch, dass er es zu arg getrieben hatte. Willi versuchte, eine trotzige Miene aufzusetzen, aber sie fiel etwas kläglich aus. Hannes saß wie der dumme August da. Er begriff von alledem nicht das Geringste.
    Als es in der Halle mucksmäuschenstill geworden war, stand Thomas auf.
    »Ich verkünde das Urteil!«, sagte er würdevoll.
    »Aufstehen!«, riefen die Schutztruppler den Angeklagten zu.
    Oskar, Willi und Hannes erhoben sich zögernd. Oskar wurde blass, Willi zitterten die Hände. Nur Hannes glotzte uns mit erstaunten Augen an. Er ist so dumm, dass er nicht einmal Angst kennt.
    »Willi Hak und Hannes Krog werden einstimmig zum täglichen Kartoffelschälen im ›Goldenen Posthorn‹ verurteilt!«, verkündete Thomas mit lauter Stimme.
    Willi war verblüfft. Er hatte eine schlimmere Strafe erwartet. »Gott sei Dank!«, entfuhr es ihm unwillkürlich.
    »Freu dich nicht zu früh!«, rief Erna Schlüter höhnisch.
    Die Kinder auf den Bänken waren auch etwas enttäuscht. Sie hatten geglaubt, dass wir die Piratenführer tüchtig verhauen würden. »Kartoffelschälen ist doch gar nicht so schlimm!«, schrie die dicke Minna Pütz, die in der ersten Reihe saß.
    »Kartoffelschälen als Strafe ist sehr schlimm!«, brüllte ein Junge von ganz oben.
    Ludwig Keller gongte. Es wurde wieder ruhig. Thomas beugte sich vor und blickte Oskar scharf an.
    »Oskar, du wirst mit Ausstoßung aus der Timpetiller Kindergemeinschaft bestraft!«, sagte Thomas, jedes Wort bedeutungsvoll betonend. Ein erschrockenes Murmeln lief durch die Reihen der Kinder. Oskar starrte zu Boden. Er hielt den Kopf tief gesenkt.
    »Von dieser Stunde an bist du für uns ein Fremder!«, fuhr Thomas mit schneidender Stimme fort. »Wir sprechen den Bannfluch über dich aus! Kein Kind wird mehr mit dir sprechen! Kein Kind wird je wieder mit dir spielen! Du sollst abseits bleiben, von uns allen gemieden und verachtet!« Thomas konnte nicht weitersprechen. Oskar schluchzte plötzlich herzerweichend auf und sank laut heulend auf die Anklagebank. Er vergrub den Kopf in beiden Händen. Seine Schultern zuckten. »Nein, nein, nein!«, hörten wir ihn wimmern.
    Ein betretenes Schweigen herrschte in der Halle. Der blutige Oskar weinte! Unser Urteil hatte ihn schwer getroffen.
    »Wir müssen das Urteil mildern«, flüsterte ich Thomas zu. Marianne sprang auf und lief zu Oskar. Sie legte den Arm um ihn und sagte: »Weine nicht mehr! Wir werden eine andere Strafe erfinden.«
    »I-i-ich möchte nicht ausgestoßen werden!«, stammelte Oskar. Er war wirklich sehr unglücklich.
    »Willst du auch Kartoffeln schälen?«, fragte Marianne. »J-ja!«, kam die klägliche Antwort.
    »Also gut!«, rief Thomas rasch. »Wir begnadigen dich zum Kartoffelschälen!«
    »Hurra!«, schrien die Kinder.
    Oskar blickte auf. Er sah Thomas dankbar an. Thomas sprang über die Kiste und lief zu ihm hin. »Wenn du mir versprichst, dich zu bessern, nehme ich dich später als Offizier in die Schutztruppe auf!«, sagte Thomas und reichte ihm die Hand.
    Oskar stand rasch auf und

Weitere Kostenlose Bücher