Tinnef
wahr!
Bronstein war stolz auf seinen Gedankengang. Genau! Wenn ihm sein Vorgesetzter oder sonst jemand blöd kam, dann würde er sofort in die Offensive gehen und aus der vermeintlichen Notwendigkeit zur Rechtfertigung eine Anklage wider die ungerechte Behandlung seiner Person machen. Aber so schludrig wie die heimische Polizei agierte, fiel höchstwahrscheinlich ohnehin niemandem auf, dass er sich mit potenziellen Zeugen traf. Also konnte er getrost riskieren, sich auf die Suche nach den beiden Offizieren zu machen.
Endlich kehrte wieder so etwas wie Zufriedenheit in Bronstein ein, und er begann zu ahnen, dass er nun doch gut würde schlafen können. Er dämpfte seine Zigarette aus, stellte das leere Teeglas in die Spüle und begann sich zu entkleiden. Keine fünf Minuten später lag er in seinem Bett und löschte das Licht.
II.
Dienstag, 11. Februar 1913
Empfindliche Kälte ließ Bronstein aus dem Schlaf schrecken. Während der Nacht musste der Ofen ausgegangen sein. Fröstelnd fuhr Bronstein hoch und holte mit klammen Fingern Holzscheite aus dem Vorraum, die er sodann eilig in den Ofen stopfte. Er legte Zeitungspapier obenauf und riss dann ein Streichholz an. Während er darauf wartete, dass der neu befeuerte Herd seine Wirkung entfaltete, kroch Bronstein noch einmal unter die Bettdecke. Erst als er das Gefühl hatte, ohne sich der Gefahr des Erfrierungstodes auszusetzen wieder aus der Liegestatt steigen zu können, begab er seinen Körper in die Senkrechte. Mit schnellen Bewegungen füllte er den Teekessel mit Wasser, dann platzierte er diesen auf der Herdplatte.
Wenig später erfüllte angenehme Wärme seinen Körper. Er zündete sich eine Zigarette an und konsultierte die Notizen, die er sich am Vortag nach dem Gespräch mit Jaworsky gemacht hatte. Der Oberleutnant Hevesi schien irgendwie die interessantere der beiden Personen zu sein, mit denen Mészáros sich umgeben hatte. Denn Binder klang reichlich unglamourös. Wahrscheinlich irgendein Älpler, einfältig und borniert. Aus einem Kuhdorf in die Reichshaupt- und Residenzstadt zugezogen und immer noch dankbar für das Vertrauen, das der Kaiser persönlich in ihn gesetzt hatte. Nein, an diesem Kerl war wahrscheinlich nur interessant, weshalb sich überhaupt jemand mit ihm abgab. Also Hevesi!
Wo mochte man den finden? Am einfachsten wohl überdas Meldeamt. Gedacht, beschlossen. Bronstein blickte auf die Küchenuhr und trank den letzten Rest des Tees. Dann nahm er noch einen schnellen Zug von der Zigarette, ehe er sie ausdämpfte.
Zwanzig Minuten später hatte er die Morgentoilette abgeschlossen und trat in ansprechender Kleidung in den Flur. Er schloss seine Wohnungstür ab und begab sich sodann über Gang und Treppenhaus ins Erdgeschoß seines Wohnhauses, von wo aus er durch das Haustor auf die Dornbacher Straße gelangte. Er wandte sich nach links und marschierte stadteinwärts. Angesichts der morgendlichen Kälte war er für die Tramway dankbar, die in ihrer Endstelle bereitstand, den Rückweg anzutreten. Bronstein sah zu, dass er ins Innere des Triebwagens kam. Dort zündete er sich eine weitere Zigarette an, während er darauf wartete, dass sich der Zug in Bewegung setzte.
Hevesi? Wo war ihm der Name schon einmal untergekommen? Gab es nicht einen Schauspieler namens Sándor Hevesi? Bronstein gähnte. Na, das konnte ihm ja letztlich egal sein. Er brauchte nur zu wissen, wo er den Offizier Hevesi fand, und das mochte nicht allzu schwer werden.
Beim Meldeamt angekommen, beschloss er, von seinem Privileg als Polizist Gebrauch zu machen. Er zeigte seine Kokarde und verlangte, die Amtsleitung möge ihm unverzüglich die Meldedaten des Offiziers Hevesi und des Offiziers Binder aushändigen. Zu seiner nicht geringen Überraschung kam wenige Augenblicke später eine Beamtin in den Raum, die ein Bündel Akten vor ihrer Brust hertrug.
„Also der Hevesi, der ist kein Problem. Oberleutnant Ferenc Hevesi, Franzensbrückenstraße 2 im 2. Bezirk. Aber Binder? Mein lieber Herr, da brauchen wir schon ein bissi mehr als den Familiennamen, gell!“
Die Frau hatte Bronstein auf dem falschen Fuß erwischt. Er hatte doch tatsächlich vergessen, sich nach dem Vornamen des Binder zu erkundigen. Ein Hauch von Zorn auf sich selbst wehte ihn an. Wie hatte er nur so nachlässig sein können? Um Zeit zu gewinnen, entrang er sich ein simples „Wieso?“
„Wieso? Weil wir gleich 23 Binders in Wien haben, die was Offiziere sind. Da haben wir den Adalbert Binder, Major, in
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