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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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tät ich dich faschieren, du fleischgewordenes Unglück der Abteilung.“
    Bronstein bemühte sich um eine schuldbewusste Miene, wobei ihn jedoch nur die Frage beschäftigte, wie der Kommandant von seiner kleinen Extratour erfahren haben konnte.
    „Ein Fräulein vom Meldeamt hat nach dir verlangt“, schien dieser Bronsteins Gedanken erraten zu haben, „so bin ich dir draufgekommen. Bronstein, du bist so ein Trottel! Du kannst nur hoffen, dass sich niemand von den Herren Offizieren, die du offenbar in klarer Überschreitung deiner Kompetenzen verhört hast, beschwert – weil sonst bist du’s g’wesen, hast mich?!“
    Dem so Angesprochenen blieb nichts anderes übrig als zu nicken.
    „So, jetzt schau, dass du mir aus den Augen kommst, du Unglückswurm. Abmarsch mit dir nach Meidling. Und des gach a no!“
    Für einen Moment erwog Bronstein, doch seine Erkenntnisse vortragen zu wollen, doch die Vernunft sagte ihm, dass sein Vorgesetzter dann endgültig explodieren würde. So gesehen war es klüger, vorläufig klein beizugeben. Er würde sich den Fall nicht wegnehmen lassen. Nicht einfach so. Also hieß es, sich nach außen hin zu fügen und dabei klammheimlich auf den richtigen Augenblick zu warten.
    „Zu Befehl“, sagte er und trat salutierend ab. Der Kommandant reagierte mit einer wegwerfenden Handbewegung und ließ sich seufzend auf seinen Sessel plumpsen.
    Einmal mehr verfluchte Bronstein die Knausrigkeit der Obrigkeit. Er stand seit fünf Stunden an der Ecke herum und konnte sich die beginnende Müdigkeit nur durch immer wieder geübtes Auf- und Abgehen ein klein wenig vertreiben. Die Überwachung des kleinen Georgiers war sichtlich vollkommen sinnlos. Als er zu Beginn seiner neuerlichen Schicht Lang abgelöst hatte, war von diesem nur ein simples „Nix, überhaupt nix“ gekommen. Der Verdächtige hatte sich die ganze Zeit über nicht blicken lassen, nicht einmal die Trojanowskis hatten das Haus verlassen. Auch war niemand auf Besuch gekommen. Das Leben einer alten Vettel konnte nicht unspannender sein. Und wieder blickte Bronstein enerviert von seiner Zeitung auf. Noch drei Stunden bis zur Ablösung.
    Ein weiteres Mal wanderte Bronsteins Kopf nach links und nach rechts, doch die Schönbrunner Schlossstraße lag wie ausgestorben da. Nichts regte sich, nur der Wind nahm an Heftigkeit zu und veranlasste Bronstein, seinen Mantel fester zuzuziehen. Aus dessen Tasche holte er die Thermoskanne hervor und gönnte sich einen weiteren Schluck Tee, dabei mit größer werdender Sorge feststellend, dass dieser allmählich zur Neige ging. Es war nun, da die Sonne schon geraume Zeit verschwunden war, empfindlich kalt geworden, und Bronstein dachte darüber nach, wo er sich wärmen konnte, wenn sein Getränkevorrat endgültig aufgebraucht war.
    Er verschraubte das Behältnis gerade, als gegenüber das Haustor aufging. Instinktiv ging Bronstein hinter einer Litfaßsäule in Deckung, ehe er vorsichtig auf die andere Straßenseite spähte. Tatsächlich, es war der Grusinier, der eben auf die Straße getreten war. Der Mann wandte sich nach rechts und hielt auf das Schloss zu. Bronstein wartete noch einen Moment, dann steckte er seine Zeitung weg, überquerte die Straße und folgte ihm. Einmal mehr fiel Bronstein der Umstand auf, dass die Person ihren linken Arm leicht anwinkelte. Irgendetwas war damit nicht in Ordnung, dessen war sich Bronstein sicher, doch er vermochte nicht zu sagen, worum es sich dabei genau handelte. Möglicherweise war der Arm einmal durch einen Unfall verkrüppelt worden, oder dieser Stalin hatte seit seiner Geburt eine kleine Behinderung. Beim Lebenswandel dieses Mannes war es aber auch durchaus möglich, dass er an den Folgen einer Schussverletzung laborierte, die nicht vollständig hatte ausheilen können.
    Vorbei an einigen schäbigen Hütten mit trostlosen Gärten, erreichten sie jene Straße, die den Grünen Berg hinaufführte. Doch Stalin bog nach rechts ab und ging zur Wien hinunter. Bronstein folgte ihm weiter und kam sich dabei zunehmend blöder vor. Es war offensichtlich, dass Stalin nur seinen täglichen Spaziergang unternahm. Er würde den Wienfluss auf der anderen Seite entlangmarschieren, um dann irgendwann, wahrscheinlich auf der Ebene des Gürtels, nach Meidling zurückzukehren, und in einer Stunde würde Bronstein sich dann wieder vor dem Haus die Beine in den Bauch stehen. Ausgeschlossen, dass Stalin auf dieser Runde irgendjemanden treffen oder irgendetwas unternehmen würde. Aber

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