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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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liegengelassene Obstkiste. Im Vorübergehen hob er sie auf. Auf der würde er wenigstens sitzen können, während er seine Zeit vergeudete. Er blieb endgültig stehen und ließ den Grusinier ziehen. Tatsächlich ging dieser in sein Haus zurück, Bronstein brauchte ihm also nicht mehr zu folgen. Ein weiterer Bericht, der mit den Worten „Keine besonderen Vorkommnisse“ zu umschreiben war.
    Von weiter Ferne drangen die Glockenschläge der Meidlinger Pfarrkirche an sein Ohr. Die volle Stunde. In sechzig Minuten würde er endlich erlöst sein. Beiläufig registrierte er den späten Passanten, der, die Schiebermütze tief ins Gesicht gezogen, vom Gürtel her auf das Schloss zuhielt. Gute Zeiten schienen dem nächtlichen Spaziergänger fremd zu sein, denn seine Schuhe waren verschlissen, und der Mantel wies einige Löcher auf. Wahrscheinlich ein Arbeiter, der von seiner Schicht nach Hause zurückkehrte. Doch warum hielt der Mann just vor dem Wohnhaus der Trojanowskis? Und warum sah er sich so hektisch um? Wurde es am Ende doch noch interessant? Tatsächlich, der Mann verschwand im Inneren des Gebäudes. Bronstein sah angestrengt auf die gegenüberliegende Straßenseite. Nach einer knappen Viertelstunde tauchte die Person wieder auf. Nur dass sie nun unter dem Arm ein Paket trug. Was mochte darin enthalten sein? Flugblätter? Politische Pamphlete? Bronstein war sich nicht sicher, ob der Mann überhaupt bei den Trojanowskis gewesen war, doch es schien allemal abwechslungsreicher, ihm zu folgen, als noch eine volle Stunde angemauert zu sein. Bronstein warf seine Zigarette weg und heftete sich an die Fersen seiner neuen Zielperson.
    Bei der Stadtbahnstation Meidling begab sich der Mann auf den Bahnsteig. Bronstein löste eine Perronkarte und folgte ihm. Tatsächlich ging es mit dem Zug weiter, doch anscheinend hatte der Paketträger kein konkretes Ziel. Oder, was wahrscheinlicher war, er wollte ebendieses verschleiern, denn alle paar Stationen verließ er ein Verkehrsmittel, um bald darauf ein anderes zu nehmen. Nach einer einstündigen Odyssee landeten sie schließlich am Nordwestbahnhof. Für Bronstein gab es nun keinen Zweifel mehr, der Mann hatte etwas zu verbergen, und umso wichtiger war es, in Erfahrung zu bringen, was sich in dem Päckchen befand.
    Bronstein rang mit sich, ob er den von ihm Verfolgten anhalten und kontrollieren sollte, ehe dieser sich in der Menge verlor. Zu allem Übel war offenbar gerade ein Zug eingefahren, denn zahlreiche Menschen strömten vom Bahnsteig in die Schalterhalle. Bronstein konzentrierte sich auf seinen Mann – und wurde doch abgelenkt. Der honorig wirkende Herr, der ihm eben entgegenkam, war kein Unbekannter. Bronstein überlegte, wo er das Gesicht schon einmal gesehen hatte. Richtig, der Herr Abgeordnete Franz Schuhmeier, ein Schwergewicht der Sozialdemokratie. Kam wohl von einer Parteiveranstaltung. Bronstein war zufrieden mit sich, das Problem gelöst zu haben, und suchte wieder den Mann mit dem Paket, als er im Augenwinkel eine schmächtige Person wahrnahm, die sich bemerkenswert schnell auf Schuhmeier zubewegte. Ein Gesinnungsgenosse? Ein Bittsteller? Nein, Bronstein sah jetzt genauer hin, denn irgendetwas hatte ihn irritiert. Genau, die Gesichtszüge der Figur wirkten merkwürdig entgleist. Ein Irrer?
    Bronstein schwankte, ob er sich wieder seinem Revoluzzer zuwenden oder doch den Mann hinter Schuhmeier beobachten sollte. Irgendetwas blitzte auf. Hatte der Kerl … Tatsächlich, der Mensch hatte eine Waffe gezogen. Der legte … der legte doch glatt auf den Abgeordneten an. Bronsteins Mund öffnete sich, er wollte „Achtung!“ rufen, doch in just diesem Moment klang eine andere Stimme blechern durch die Halle: „Das ist meine Rache!“ Noch ehe Bronstein das Gewicht seines Körpers in Richtung Schuhmeier verlagern konnte, ging die Waffe mit ohrenbetäubendem Lärm los. Bronstein sah das Mündungsfeuer und gleich darauf, wie der Abgeordnete zu Boden stürzte. Er glich einem gefällten Baum, denn ohne irgendeine Reaktion schlug er auf den Steinen auf, und Bronstein wusste sofort, dass der Attentäter sein Ziel nicht verfehlt hatte. Die Blutlache, die sich unter dem liegenden Schuhmeier ausbreitete, sprach Bände. Bronstein stürzte auf den Politiker zu und hielt ihm die Finger an den Hals. Er tastete zur Sicherheit noch eine Weile herum, dann sah er auf, erkannte, dass ihn eine große Menschentraube beobachtete, und schüttelte den Kopf. Der Mandatar war tot.
    Verdammt,

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