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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Gesicht in seinen Händen. Bronstein blieb nur, wie ein geprügelter Hund die Szene zu verlassen.
    Doch mit jedem Meter, dem er sich seinem eigenen Schreibtisch näherte, wuchs seine Wut. Schon wieder war er vollkommen ungerecht behandelt worden. Der Postenkommandant hatte ihn offensichtlich im Visier, und das noch dazu absolut ungerechtfertigt.
    Nein, so brauchte er nicht mit sich umspringen zu lassen! Wenn man seine Leistungen partout so gar nicht schätzte, dann war es auch weiter nicht nötig, hier sinnlos Zeit zu versitzen. Es gab ohnehin interessantere Dinge, denen man sich zuwenden konnte. Bronstein entschlüpfte durch die Hintertür und sah zu, dass er zum Café Ritter kam. Nun brauchte er nur noch ein passendes Präsent.
    Beim Hotel Kummer wurde er fündig. Dort gab es eine kleine Konditorei, die auch Bonbons anbot. Bronstein entschied sich für Schokotrüffel, die er sich geschenkmäßig verpacken ließ. Dann umrundete er den Hotelkomplex und stand vor den Türen des Café Ritter. Mit einer gewissen Bangigkeit trat er ein. Mit einem Mal war er sich gar nicht mehr so sicher, ob seine Kleiderwahl richtig gewesen war. Sah er nicht wirklich wie ein Geck aus? Er blieb noch einmal einen Augenblick stehen, straffte sich und hauchte sich eine Prise Selbstbewusstsein ein. Nun war es ohnehin zu spät für irgendwelche Änderungen, also musste er das Beste aus der Situation machen. Er hängte sich ein charmantes Lächeln ins Gesicht und machte sich auf die Suche nach Marie Caroline.
    Das „Juhu!“ hatte tatsächlich ihm gegolten. Schon aus einiger Entfernung sah er Marie Caroline winken. Aber sie war nicht allein, was Bronstein mit einer gewissen Enttäuschung registrierte. Nicht weniger als fünf weitere Personen saßen mit ihr am Tisch. Bronstein gestand sich ein, er hatte mit einem Rendezvous gerechnet, und jetzt war er zu einer Art Picknick geladen. Mit der Schokolade wartete er besser noch zu. So männlich wie möglich trat er an den Tisch, grüßte erst allgemein in die Runde, indem er eine Verbeugung andeutete, dann beugte er sich zu Marie Caroline hinab und küsste ihr die Hand. „Ihr Lieben“, hörte er sie dabei sagen, „das ist mein Retter.“ Zustimmendes Gemurmel erhob sich. „Der Herr von Braunstein.“ Unwillkürlich zuckte Bronstein bei dieser Vorstellung zusammen. Steif erhob er sich und sah auf die übrigen Personen, die samt und sonders weitaus jünger zu sein schienen, als er es war.
    Marie Caroline übernahm die Vorstellung: „Meine allerbeste Freundin Sisi.“ Dabei zeigte sie auf eine sommersprossige Elfengestalt, die direkt neben ihr saß. Bronstein küsste auch dieser Person die Hand. „ Von Clary-Aldringen“, fuhr Marie Caroline fort und genoss dabei den Schauer, den sie bei Bronstein evozierte. Die Clary-Aldringen zählten zu den ältesten und einflussreichsten Adelsgeschlechtern des Landes. Bronstein richtete die Augen auf das Mädchen: „Der Herr Ministerpräsident …“ Sie nickte. „Ist mein Opapa.“ Der alte Clary-Aldringen war zwar vor rund eineinhalb Jahrzehnten nur wenige Monate Regierungschef gewesen und seitdem Landeshauptmann der Steiermark, doch in Österreich sprach man Persönlichkeiten stets mit der höchsten Funktion an, die sie irgendwann einmal eingenommen hatten. „Minister“ blieb man auf ewig, egal, wie lange man der Regierung tatsächlich angehört hatte. Und selbst wenn man unehrenhaft aus der Armee ausgeschieden war, so trug man dennoch den höchsten Offiziersrang bis ans Ende seiner Tage.
    „Josef von Rohan“, fuhr Marie Caroline in der Zwischenzeit fort. Auch die Rohans zählten zur Crème de la Crème des Staates, wenn sie auch nicht ganz so einflussreich waren wie die Clarys.
    Beim Namen der nächsten Person merkte Bronstein auf. Anton von Segur-Cabanac. „Verwandt mit August?“, fragte Bronstein, während er dem Jungen die Hand gab. „Mein älterer Bruder“, antwortete dieser, „Sie kennen ihn?“ „Ich habe mit ihm Jus studiert. Guter Mann“, sagte Bronstein knapp.
    „Tussi von Hardegg, sie ist die Enkelin des Grafen von Hardegg“, erklärte nun Marie Caroline, „und schließlich Franziska Josefa von Harrach, die Tochter des Adjutanten Unserer Kaiserlichen Hoheit des Thronfolgers.“
    Bronstein hatte das dringende Bedürfnis, sich zu setzen. So viel geballtes blaues Blut, das war zu viel für diese frühe Stunde. Und mit einem Mal kam ihm seine Garderobe gar nicht mehr geckenhaft vor. Vielmehr dünkte sie ihn schäbig und minderwertig.

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