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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Dass er bislang keine wirkliche Liaison gehabt hatte, das wusste er. Aber dass da praktisch auch keine Abenteuer und Affären sein Leben gewürzt hatten, das fiel ihm erst jetzt so richtig auf. Gute Güte, es wurde höchste Zeit, dass er sich endlich verliebte und ein Weib nahm.
    In seinem Alter und in seiner Stellung kamen wahrscheinlich nicht mehr viele Gelegenheiten, also war es besser, es bei Marie Caroline nicht zu versieben. Ihre Familie stand zwar gesellschaftlich deutlich über der seinen, aber heutzutage, so dachte er sich, sollte das kein Problem mehr sein. Außerdem schien Marie Carolines Vater in seine Tochter so vernarrt zu sein, dass er ihrem Glück sicher keine Steine in den Weg legen würde. Also musste er, Bronstein, nur noch dafür sorgen, dass sie ihn als ihr ganz persönliches Glück empfand. Und daran würde er gleich am nächsten Morgen zu arbeiten beginnen.
    Was die Frage aufwarf, was er ihr mitbringen sollte. Blumen in ein Kaffeehaus? Sicher nicht, das ging auf keinen Fall. Schmuck? Viel zu früh, das wirkte nur zudringlich. Nein, er brauchte irgendeine Kleinigkeit, die von Aufmerksamkeit zeugte, ohne prahlerisch oder aufdringlich zu wirken. Schokolade! Das war’s. Er würde einfach auf dem Weg ins Kaffeehaus noch in einer Confiserie vorbeigehen und ein paar Bonbons erwerben, welche die Verkäuferin dezent, aber schön verpacken sollte. Ein derartiges Präsent war nicht zu teuer, musste nicht sofort konsumiert werden und zeugte dennoch davon, dass man an die betreffende Person gedacht hatte.
    Mit einem zufriedenen Lächeln trank er die Milch und dämpfte sodann die Zigarette aus. Er stand auf, löschte das Licht und ging wieder ins Bett. Als er die Augen schloss, da sah er abermals das Gesicht von Marie Caroline, aber diesmal lutschte sie vergnügt an einem Bonbon. Und als er sich sicher war, diese Nacht einfach durchzuwachen, schlief Bronstein ein.

III.
Mittwoch, 12. Februar 1913
    Dementsprechend ramponiert traf er einige Stunden später im Kommissariat ein. Den mitleidigen Blick des Journalbeamten bezog er auf sein Erscheinungsbild, doch gleich danach signalisierte ihm dessen Kopfbewegung, dass sich das Mitleid auf das neuerlich zu erwartende Donnerwetter des Postenkommandanten bezog. Vorsichtig klopfte Bronstein an die Tür des Vorgesetzten.
    „Sag einmal, machst du das absichtlich?“, empfing ihn dieser.
    „Aber diesmal bin ich mir wirklich keiner Schuld bewusst“, setzte Bronstein zu einer Apologie an.
    „Du hast deinen Posten verlassen, du Wahnsinniger. Und zwar ganz eindeutig weisungswidrig!“, brüllte der Kommandant. „Als deine Ablösung eintraf, fand er dich nicht vor. Das ist … das ist … Desertion!“
    „Aber Chef, wir haben doch ganz eindeutig den Befehl, alle Bewegungen rund um diesen Georgier zu verfolgen. Und das habe ich gemacht.“
    Bronsteins Vorgesetztem blieb der Mund offen. Er brauchte eine Weile, um sich zu fassen, dann sagte er nur: „Was?“
    Und Bronstein erklärte detailreich, welche Aktionen er in der Nacht zuvor gesetzt hatte.
    Sein Gegenüber schüttelte nur den Kopf: „Und in der Zwischenzeit ist unser georgischer Vogel ausgeflogen. Bist du nicht auf die Idee gekommen, dass dieser Paketträger oder wie immer du ihn nennen willst, nur ein Ablenkungsmanöver war, um dich loszuwerden? Du hast dich leimen lassen wie der blutigste Anfänger!“
    Dann beugte sich der Kommandant formatfüllend über seinen Schreibtisch und stützte sich dabei mit beiden Armen auf der Tischplatte ab. „Bronstein, du Stiefkind von Vernunft und Weisheit! Dich wird’s da nicht mehr lange geben auf diesem Kommissariat. Das sehe ich klar und deutlich.“
    „Aber …“
    „Nichts aber“, wurde Bronstein das Wort abgeschnitten, „ich werde deine Versetzung beantragen. So geht das nicht weiter, das ist absolut nicht hinnehmbar. Du solltest eine Weile lang etwas weniger Anstrengendes machen. Dorfgendarm in Stammersdorf oder in Hirschstetten. Das dürfte deinen Fähigkeiten eher entsprechen. Da darfst dann Vogelscheuchen bewachen, die werden dir ja hoffentlich nicht entkommen.“
    Bronstein setzte noch einmal zu einer Verteidigung seiner Vorgangsweise an, doch die Hand seines Chefs gebot ihm Einhalt: „Genug, Bronstein! Genug. Es ist einfach genug. Ich hab dich so satt, dass mir die Worte dafür fehlen. Geh einfach, geh!“
    Und als hätte ihm eben jemand die absolut niederschmetternde Hiobsbotschaft überbracht, fiel der Kommandant zurück auf seinen Sessel und vergrub das

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