Tinnef
und sah zu, dass er wieder auf die Wachstube kam.
Dort wurde er bereits ungeduldig erwartet. „Da bist ja endlich, Okomm!“, schnaubte Lang.
„Glaubst ned, dass der Leich des wurscht ist, wenn wir uns a bissl Zeit lassen?“
„Der Leich vielleicht schon. Aber mir ned.“
„Na, jetzt bin i ja da. Also gemma’s an.“
Die beiden wandten sich auf der Straße nach links, ließen die Kirche „Maria vom Siege“ rechts liegen und befanden sich wenige Momente später auf der äußeren Mariahilfer Straße, wo der mächtige Bau des Westbahnhofs die gesamte Szenerie dominierte. Immer wieder wunderte sich Bronstein über diese absurde Mischung architektonischer Stile, denn von vorne betrachtet wirkte das Gebäude wie eine Kombination aus Palais und Kuranstalt, während der hintere Trakt den Gedanken an eine Kaserne nahelegte. Doch Bronstein kam nicht dazu, sich länger mit dem Bahnhof zu befassen, denn schon wurde er von Lang am Ärmel gezogen. „Da geht’s weiter.“
Sie betraten ein abgewohntes dreistöckiges Gebäude, das, so schätzte Bronstein, kurz nach der 48er-Revolution errichtet worden sein musste, und gingen durch den ersten Trakt in den Innenhof. Dahinter befand sich ein zweiter Bau, der gleichfalls drei Stockwerke aufwies. Lang führte seinen Vorgesetzten in den zweiten Stock, wo schon eine etwas in die Jahre gekommene Frau auf sie wartete. „Doda warat’s“, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf die Tür, auf der die „13“ montiert war.
Bronstein und Lang betraten das Innere der Wohnung und sahen schon von der Küche aus die Bescherung. Im Luster des Wohnzimmers hing ein Mann von knapp mehr als zwanzig Jahren. Er hatte einen dünnen blonden Schnurrbart, der mit dem Rotblau der herausgequollenen Zunge kontrastierte. Die wasserfarbenen Augen starrten schief an die Decke, und die Haare klebten an der Stirn, was darauf hindeutete, dass dem Mann doch ziemlich heiß gewesen sein musste, ehe er erkaltete.
„A natürlicher Tod war des jedenfalls keiner“, meldete sich Lang.
„Der Herr Leutnant hat ja immer Gspassetln g’macht, aber solche Spompanadeln, des is wos Neichs“, konstatierte derweilen die Frau, in der Bronstein die Hausmeisterin vermutete, emotionslos. Dass der Tote Offizier der kaiserlichen Armee gewesen war, erklärte die Uniform, die er trug. Und dass er sie anhatte, ließ einen Selbstmord zumindest in den Bereich des Möglichen rücken.
„Haben S’ was angefasst, Frau …“
„Kriwanek. Elfriede Kriwanek. I bin da die …“
„Hausmeisterin. Das habe ich mir schon gedacht. Und haben S’…?“
„Wos?“
„Na etwas angefasst.“
„Jo, bin i bled oder wos! Natürlich ned. Ich bin in die Wohnung, weil die alte Reininger, des is die Partei vom ersten Stock, direkt unter dera Wohnung, auf d’ Nocht an Pumperer g’hört hat. Und weil i den Herrn Leutnant heut ned g’sehen oder g’hört hab, hab i ma denkt, da is vielleicht a Unglück g’schehen. Und so bin i mit’m Generalschlüssel eine in die Wohnung.“
Die Frau hielt einen beeindruckend großen Schlüsselbund in die Höhe. „Na, und wie i eam do hängen g’sehen hab, da hab i alles g’wusst. Der is hin, hab i ma denkt. Da kannst nix mehr machen. Na, und so hab i den Wirten, der was als Einziger da a Telefon hat, g’sagt, er soll die Heh … die Polizei rufen. Na, und jetzt san S’ da.“
„Ja, jetzt simma da“, echote Bronstein und besah sich das Zimmer. Der Tisch, der sich direkt neben dem Gehenkten befand, war penibel aufgeräumt. Nichts, auch kein Schriftstück, lag darauf. Generell herrschte im Raum peinlichste Ordnung, nur ein Sessel lag umgestürzt auf dem Boden, was die These nahelegte, dass der Leutnant auf selbigen gestiegen war, ehe er sich die Schlinge um den Hals legte und den Sessel unter sich umwarf.
„Wissen wir, wie der Mann hieß?“, fragte er die Kriwanek.
„Des waaß i ned“, antwortete sie.
„Sie kennen die Namen Ihrer Parteien nicht?“, zeigte sich Bronstein überrascht.
„I scho. Aber danach haben S’ mi ja ned g’fragt. Sondern danach, ob Sie es wissen, und des wiederum waaß i ned.“
Schon wieder so ein vorwitziges Wiener Mädel, dachte Bronstein pikiert. Er setzte eine möglichst strenge Miene auf und sah die Kriwanek durchdringend an. Diese lenkte schließlich ein. „Mészáros hat er g’heißen. Aus Ungarn is er kommen. Aber er hat makellos Deutsch g’redet. Von der Mutterseiten her, glaub i. Und seit fünf Monat’ hat er da g’wohnt. Er is zum
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