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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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verloren. In dieser Familie würde er sich nie wohlfühlen. Und was Marie Caroline anbelangte, so stellte sich wirklich die Frage, was außer einer gewissen Schönheit für sie sprach. Bronstein ahnte, dass er in diesem Kreis nur seine Zeit vergeudete.
    „Sie entschuldigen mich einen Moment.“ Bronstein stand auf und verließ in kerzengerader Haltung den Raum. Im WC setzte er sich auf die Toilettenmuschel und fluchte undeutlich vor sich hin. Wie war er bloß in diese unmögliche Lage geraten? Am besten war es wohl, wenn er Marie Caroline in den kommenden Tagen zum Essen einlud und ihr bei dieser Gelegenheit erklärte, dass er nichts mehr für sie empfinde und die Beziehung daher auflöse. Denn so, das war ja wohl offenkundig, konnte es nicht mehr weitergehen. Er war entschieden zu müde, um derartige Situationen gelassen nehmen zu können. Wenn er jetzt ins Esszimmer zurückkam, und man behandelte ihn immer noch von oben herab, dann würde er sich endgültig verabschieden. Eine derartige Kujonierung hatte er nicht not.
    Bronstein trat eben wieder auf den Flur, als das Telefon der Familie klingelte. Die Zugehfrau eilte an den Apparat und kehrte wenig später mit einem fragenden Blick ins Zimmer zurück. „Es ist …“, sagte sie stockend, „für den jungen Herrn Bronstein?“
    Na, das war eine willkommene Überraschung. Bronstein lächelte und folgte der Bediensteten in den Arbeitsraum des Herrn von Ritter.
    „Bronstein am Apparat von Ritter“, meldete er sich.
    „David, du ahnst nicht, wer hier spricht!“
    Unwillkürlich musste er lächeln. Die Stimme von Kisch erkannte er immer und überall. „Egonek, du alter Schlawiner. Was gibt’s? Und woher weißt du, wo du mich erreichen kannst?“
    „Na, ich wäre ein schlechter Journalist, wenn ich der Kombinationsgabe entbehren würde. Es ist Sonntag, es ist Mittag, na wo wirst du also sein. Im Schoß der lieben Familie, da du es doch auf den Schoß des Fräulein Tochter abgesehen hast.“
    So ganz stimmte diese Behauptung nicht mehr, dachte Bronstein, aber letztlich war sie auch nicht völlig unrichtig. „Der Punkt geht an dich. Und was verschafft mir die Ehre?“
    „Das erkläre ich dir am Abend. Ich stehe gerade in Prag am Bahnhofspostamt. Mein Zug geht in wenigen Minuten. Treffen wir uns gegen acht im Herrenhof. Da kann ich dir dann mehr sagen. Und ich hoffe, du mir auch.“
    „Acht Uhr Herrenhof. Geht in Ordnung. Wir sehen uns.“
    „Genau. Bis dann. Servus.“
    „Ja, servus.“ Bronstein hängte ein. Der Abend war gerettet.
    „Und, wer war’s?“ Marie Carolines Ton hätte jeden See zufrieren lassen.
    „Der Egon. Wir haben uns für heute Abend im Herrenhof verabredet“, antwortete er leichthin.
    Marie Caroline tupfte sich den Mund mit der Serviette ab und legte das Stoffstück dann sachte beiseite.
    „Darf ich dich kurz alleine sprechen?“
    „Aber sicher doch! Wenn deine Eltern nichts dagegen haben.“
    Marie Caroline stand vom Tisch auf und zog Bronstein mit sich in ihr Zimmer. Dort schloss sie vorsichtig die Tür. Sie sah Bronstein durchdringend in die Augen und wartete einen Augenblick.
    „Bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen?“
    „Nicht dass ich wüsste.“ Bronstein musste sich eingestehen, dass ihn die Szene amüsierte. Marie Caroline hingegen stützte ihre Fäuste in ihre Hüften und begann wie ein wilder Stier zu schnauben. Ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen, und Bronstein meinte zu erkennen, dass ihr Gesicht eine unangenehme Farbe anzunehmen begann. Gleich, so mutmaßte er, würde sie vollends explodieren.
    Und so war es auch. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst“, schrie Marie Caroline in einer Lautstärke, die wohl auch noch die Nachbarn jedes einzelne Wort verstehen ließ, „gestern lässt du mich allein in die Oper gehen, weil du meinst, der Dienst sei dir wichtiger, und heute willst du mich schon wieder nicht ausführen, weil dir deine Saufkumpane lieber sind. Was bildest du dir eigentlich ein, du ungehobelter Flegel!“
    „Aber Chérie“, tat Bronstein ehrlich überrascht, „ich wusste nicht, dass du für heute schon Pläne gemacht hast.“
    Sein Gegenüber verlor nun jedwede Fassung. Wie ein kleines Kind strampfte sie mit dem Fuß auf. „Das darf doch wohl nicht wahr sein! Als ob das eine Rolle spielte. Es geht um das Prinzip. Der Sonntag hat mir zu gehören!“
    „Das heißt, du hast keine Pläne gemacht?“
    Marie Caroline rang nach Atem und fächelte sich mit der rechten Hand Luft zu.

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