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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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doch sogar habilitiert. Also muss man wohl auch als Frau studieren können.“
    „Die kleine Sarah Finkelstein“, fuhr die Mutter fort, ohne auf Bronsteins Einwurf zu reagieren. „Kannst du dich noch erinnern, wie sie als Kind immer unten auf der Gasse Tempelhüpfen gespielt hat?“
    Bronstein zog an seiner Zigarre und legte die Stirn kraus. Wer um Himmels willen waren die Finkelsteins? Und weshalb sollte er sich an ein Mädchen erinnern, das offenbar mehr als zehn Jahre jünger war als er selbst? „Du weißt doch“, insistierte die Mutter, „die kleine Sarah!“
    „Offen gestanden …“
    „Na, der alte Finkelstein. Der das Kleidergeschäft in der Paulanergasse hat. Weißt eh, gleich gegenüber der Kirche.“ Der Vater unterstrich seine Information mit einer entschuldigenden Geste. Ihm war offenbar anfangs auch nicht klar gewesen, wer die Finkelsteins waren.
    „Ach, die, wo du immer deine Kleider umarbeiten lässt.“
    Der Satz war kaum ausgesprochen, als sich Bronstein schon seines Fehlers bewusst wurde. Auch wenn seine Mutter nun bereits auf die sechzig zuging, sie wollte es fraglos immer noch nicht wahrhaben, dass sie zu sehr in die Breite gegangen war.
    „Wo ich meine Kleider kaufe“, korrigierte sie spitz.
    „Und danach umarbeiten lässt“, blieb der Vater gnadenlos. Sie schickte ihrem Mann einen zornigen Blick, doch dessen schalkhaftes Lächeln entwaffnete sie. Auch sie musste nun schmunzeln. „Na ja“, lenkte sie ein, „wenn die heutige Mode so komisch ist, dass man ein wahrer Hungerhaken sein muss, damit einem das Zeug passt.“
    „Gut“, resümierte Bronstein, „diese Finkelsteins also. Und die haben eine Tochter.“
    „Ja, und was für eine. So eine honette Person. So hübsch und adrett, und doch so bescheiden. Die wird sicher einmal eine traumhafte Schwiegertochter.“
    Ahnte die Mutter etwas, oder hatte sie es einfach immer noch nicht aufgegeben, ihn verkuppeln zu wollen?
    „Ja, die wird eine jiddische Mame einmal richtig glücklich machen“, räsonierte der Vater.
    „Was du wieder hast. Die Finkelsteins sind gar nicht so religiös“, bemühte sich die Mutter um Relativierung.
    „Sei es, wie es sei“, trachtete Bronstein die Finkelstein-Debatte zu beenden, „jetzt lasst sie erst einmal studieren, die kleine Finkelstein, und dann wird man schon sehen, was aus ihr wird. Und bis dahin gönne ich mir erst einmal ein Stück von deinem wunderbaren Guglhupf, Mama.“
    Er biss herzhaft zu und lobte sodann den hohen Kakaoanteil an dem Backwerk: „Genau so, wie ich es mag, Mutter.“ Die Frau lächelte holdselig. Doch dann ging ein Ruck durch sie: „Du hast uns noch gar nicht erzählt, warum du uns überhaupt besuchst, mein Junge.“ Bronstein schickte einen kurzen Blick zu seinem Vater, dann sah er die Mutter an: „Die Ritters haben heute irgendeine Verwandtschaft zu besuchen, und da dachte ich mir, das könnte ich auch wieder einmal machen.“
    „Ja, Zeit ist es ja worden“, tadelte die Mutter, „aber Hauptsache, du lässt dich endlich wieder einmal anschauen.“ Dabei erhob sie sich aus ihrem Sessel und tätschelte Bronstein die Wange, als wäre er noch ein kleiner Knabe. Bronstein nahm es gottergeben hin. Ebenso wie die weiteren Erzählungen seiner Mutter, die entgegen seinem Empfinden doch nur eine Stunde gedauert hatten. Gegen 17 Uhr schickte sie sich an, das Geschirr in die Küche zu räumen, und Bronstein folgte ihr.
    „Kann ich dir etwas helfen?“, fragte er.
    „Ach, es geht schon.“
    „Aber geh, das tu ich doch gern.“ Er nahm ihr das Kaffeegeschirr ab und gab es ins Lavoir, um es dort zu reinigen. Über die Schulter sagte er, während seine Mutter Zucker und Kuchen verstaute: „Das ist mir jetzt ein wenig peinlich, aber ich habe mein Portemonnaie zu Hause vergessen, treffe mich am Abend aber noch mit einem Freund. Kannst du mir vielleicht bis zum nächsten Mal mit ein paar Kronen aushelfen?“
    Die Mutter sah gar nicht erst auf: „Wie viel brauchst du?“
    „Ach, ein paar genügen schon. Gerade, dass ich für den Abend liquid bin.“
    Die Mutter öffnete ein Kästchen, holte eine Keksdose hervor, nahm den Deckel ab und zog ein paar Geldscheine hervor. „Da hast du.“
    „Danke, Mama, das ist zu gütig von dir.“ Er küsste sie erneut auf die Wange. „Aber sag bitte …“
    „… Vater nichts davon, ich weiß.“
    „Ja, er glaubt dann wieder, bei der Polizei nagen wir am Hungertuch, und meint, er muss erneut in mich investieren. Diesen Eindruck wollen wir

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