Tinnef
Guter Rat war daher teuer. Die Lösung des Problems war es auch. Mit den letzten Münzen, die er aus seinen Taschen noch zutage förderte, hielt er eine Mietdroschke an, die relativ flott vorankam. Allerdings nur bis zur Oper, denn dort war Bronsteins Barschaft endgültig erschöpft. Immerhin, er hatte diesen Teil seines Weges in weniger als fünfzehn Minuten geschafft, mit etwas Glück würde es ihm gelingen, seine Verspätung auf eine gute halbe Stunde zu minimieren.
Vor der Karlskirche riss er noch schnell ein paar Blumen aus, die er zu einer Art Strauß zusammenstellte, wobei er sich selbst eingestehen musste, dass man viel Phantasie brauchte, um dieses Ensemble gelungen nennen zu können. Dennoch, der Wille ging doch fürs Werk, hieß es, und Bronstein hastete weiter. Eben hörte er in der Ferne die Kirchenglocke zweimal schlagen, als er keuchend und nach Luft ringend vor dem Elternhaus seiner Angebeteten ankam.
Mit pikiertem Gesichtsausdruck öffnete ihm Josefine und wies ihm wortlos den Weg ins Speisezimmer. Dort angekommen, verbeugte er sich leicht und drückte die Blumen der Frau Mama in die Hand, die sie unbesehen an Fini, die Bronstein gefolgt war, weiterreichte. „Ich bitte meine Verspätung inständigst zu entschuldigen“, begann er, mit den Augen bald hierhin, bald dorthin wandernd, „ich war, wie ihr euch vielleicht erinnert, mit einem sehr schwerwiegenden Fall betraut, der mich beinahe bis fünf Uhr morgens im Dienst hielt. Und dadurch habe ich wohl ein klein wenig verschlafen. Außerdem war der Verkehr …“
Bronstein erstarb. Die drei aßen weiter, als ob er gar nicht im Raum wäre. Arrogante Bande, dachte er, während er sich niedersetzte, da hielt man für Kaiser und Vaterland die ganze Nacht lang den Kopf hin, und die undankbare Brut hielt es bloß für einen Affront. Wütend stach er auf den Leberknödel ein, der ihm von Josefine eben in den Suppenteller platziert worden war, als wollte er ihn ermorden.
Er hob seinen Kopf an, wollte erneut zu einer Erklärung ansetzen, doch offensichtlich hatte die Familie beschlossen, ihn zumindest vorerst mit Verachtung zu strafen. Bitte, das konnten sie haben. Auch wenn er kein Mönch war, es handelte sich nicht um das erste Mahl, das er schweigend einnahm. Der Herr von Ritter schob den Teller von sich und griff in die neben ihm stehende Holzkiste. Er holte eine Zigarre hervor, roch daran, während er sie unter seiner Nase drehte. Dann zwickte er ihr Ende ab und zündete sie mit einem langen Streichholz an. Der Rauch verteilte sich ziellos im Raum. Jetzt erst sah der Herr von Ritter auf Bronstein. „Ein schwerwiegender Fall also.“ Dem Tonfall war nicht zu entnehmen, ob es sich bloß um Desinteresse oder doch um Spott handelte. Bronstein beschloss, den Satz nicht als Spitze zu interpretieren. Er tupfte sich mit der Stoffserviette den Mund ab, dann hob er zu einer Antwort an.
„Ja, eine ziemlich komplexe Geschichte. Das Evidenzbüro, dem ich ja zurzeit dienstzugeteilt bin, ging ursprünglich von finanziellen Malversationen aus, doch wie sich am Ende zeigte, handelte es sich um ein Verbrechen viel größeren Ausmaßes. Ich bin natürlich an meinen Amtseid gebunden, daher sage ich nur so viel: Hoch- und Landesverrat.“
„Verrat ist das Stichwort“, giftete Marie Caroline. Ihr Vater aber machte eine begütigende Geste.
„Es muss schon sehr aufregend sein, wenn man seinem Land an so exponierter Stelle dienen kann“, sagte er dann in Bronsteins Richtung. Na, das klang ja beinahe wie ein Friedensangebot, dachte dieser.
„Und irgendwer muss die Drecksarbeit ja schließlich machen“, fuhr der Herr von Ritter fort und lachte. Und seine beiden Frauen fielen in das Gelächter mit ein.
In Bronstein kam abermals Wut hoch. „Richtig“, sagte er spitz, „damit des Kaisers Untertanen ruhig schlafen können.“
„Haben S’ das g’hört, Fini?“, dröhnte der Herr von Ritter, „Sie sind nicht der einzige dienstbare Geist in diesem Zimmer.“
Hielt diese Familie ihn für einen Domestiken? Allmählich kam seine Geduld wirklich an ihr Ende. „So wichtig, wie die Causa heute war, würde es mich nicht wundern, wenn es dafür einen Orden gäbe“, sagte er leichthin. Dann beugte er sich vor und sah dem Herrn von Ritter direkt in die Augen. „Haben Sie schon einen Orden bekommen, Herr von Ritter?“
„Nein“, replizierte dieser knapp, „aber du auch nicht.“
Bronstein ließ die Serviette auf den Tisch fallen. Da war einfach Hopfen und Malz
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