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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Himmelshäuser zu erspähen - um nach Pegasus und Andromeda zu suchen, unter deren Einfluss die Liebe zwischen Mann und Frau ewig währt. Erst als der Himmel wieder hell und klar wurde, kehrten sie zurück. Der Juwelier hatte Dominico verraten, dass es dem Rabbiner Chimeli zufolge eintausendneunundachtzig Wandelsterne und vier Fixsterne gebe. Seiner Meinung nach aber seien die Wandelsterne noch viel zahlreicher, und wie der gelehrte Alpetragus glaube auch er, dass sich am Himmel Dinge regten, von denen die Menschen nicht das Geringste ahnten und die mit bis heute unerkannten Sternen und Himmelskörpern zusammenhingen. Diese Überzeugung, mithin das Vertrauen in das Geheimnis der Unendlichkeit, verleihe ihm Ruhe und Gelassenheit. Dann zeigte er Dominico am Himmelsgewölbe Dutzende Sternenkonstellationen - von jeder einzelnen kannte er Einfluss und Wirkungsmacht. Immer hat Marco Augusta an die Macht lebloser und ewig währender Körper geglaubt - Sterne und Edelsteine. Nie war er in der Lage zu begreifen, dass die eigentliche Macht in vergänglichen Körpern liegt, in Körpern, die leben, sich verändern, leiden, sich zersetzen und verschwinden. Letzten Endes ist unser Körper alles, was wir haben.
    Hin und wieder diskutierten wir darüber. Ich warf ihm vor, eine dingliche Weltsicht zu haben, was er ebenso mir vorwarf. Denn ich sei es, der den Körper verherrlichen und ihm Schönheit einflößen würde, die allein dem Geistesverstand dessen gehöre, der sie erschaffen habe, ich würde an die Größe des Menschen glauben, der nichts sei im Vergleich zur Unendlichkeit der Wandelsterne, zur Reinheit des Kristalls oder der Ewigkeit des Goldes. Nichts sei der Mensch außerdem im Vergleich zu den anderen
Wesen der Schöpfung: Selbst eine Schildkröte, ein Elefant oder eine Eiche lebten bedeutend länger als ein Mensch, der ein äußerst kümmerliches Alter erreiche. Ich würde den Menschen über alles andere erheben, wage gar, ihn mit dem Schöpfer aller Dinge zu vergleichen - mit dem ich mich gleichsetzte. Der Heide sei daher ich.
    Wer von uns recht hat, ist mir bis heute ein Rätsel. Aber dass Jacometto aufgrund einer unheilvollen Begegnung zweier Sterne gestorben sein soll, daran glaube ich nicht. Bei so vielen Sternen am Himmelszelt ist es sonnenklar, dass es einige gibt, die Gutes verheißen, und andere, die Pech bringen. Häufig schaute ich mir in jenem Sommer den Himmel an - mal allein, mal mit Marietta. Nirgends fand ich eine Botschaft oder Trost, da konnten noch so unendlich viele Sterne umherirren oder unbekannte Welten im Universum wimmeln. Es ist alles bloß ein gefühlloser, sich ständig wiederholender mechanischer Ablauf von Körpern, die im Weltraum kreisen. Der Himmel ist leer.

31. Mai 1594
    Fünfzehnter Fiebertag
    Ich werde also die Nacht nicht überstehen. Das lange Warten hat ein Ende. Du bist nicht wiedergekehrt. Aber die anderen sind hier, auch wenn ich sie nicht sehen kann. Meine Gemahlin ist stark, sie weint nicht, und um die Mädchen wach zu halten, betet sie mit ihnen meinen Lieblingspsalm: Wohl dem, der ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen . Faustinas Stimme klingt nicht gebrochen, sie ist so ruhig und fest wie sie selbst. Jedes Mal, wenn sie innehält, weiß ich, dass sie mich ansieht. Auch ich schaue sie an, obschon ich sie nicht sehe. Ich habe ihr nicht gestanden, dass ich ohne sie wie ein Fremder orientierungslos durch mein Leben gewankt wäre.
    Aber Faustina weiß das auch so. Ich mag Abschiede nicht, sie dagegen hält an ihnen fest. Jeden Tag haben wir uns verabschiedet - immer wenn ich ging, stellte sich Faustina ans Fenster, winkte mir zu, als ginge ich wer weiß wohin, und schaute mir so lange hinterher, bis ich die Brücke überquert hatte und ihrem Blick entschwunden war. So soll sie mich in Erinnerung behalten - wie ich ans Ufer hinuntergehe, eine Brücke überquere und einfach irgendwo bin, wo sie mich nicht sehen kann. Faustina wird nicht besorgt sein. Daran ist sie gewöhnt. Nie sagte ich ihr, wo ich hingehe.
    Hin und wieder schnäuzen sich meine Mädchen die Nasen. Ihre Stofftaschentücher verströmen einen angenehmen Duft. Ich spüre das Rascheln ihrer Röcke und ihre leichten Schritte. Meine Töchter riechen nach Rose und Zitrone, nach Jugend und Leben.
Wenn mir noch eine letzte Bemerkung gestattet wäre, würde ich ihnen sagen, dass ich meine

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