Tintorettos Engel
die Mädchen gebrauchen können. Doch die Vorstellung, Ottavia oder Laura in den Kleidern meiner Tochter in diesen Räumen zu begegnen, war mir unerträglich. Um ihren Namen nicht zu entweihen, Herr, wagte ich so gut wie nie ihn auszusprechen. Wahrscheinlich habe ich ihn tatsächlich kein einziges Mal mehr gesagt. Ich bewahre ihn tief in mir, wo niemand ihn verschandeln kann. Marietta - sage ich zu mir selbst. Die unverdorbene, reine Sanftmut dieser drei Silben gibt mir Trost. Marietta. Marietta.
Ich befahl meinem Diener, den Willen meiner Frau zu übergehen und den gesamten Schrankinhalt, der aus San Giacomo dall’Orio ankam, wegzuwerfen.«Wegwerfen?», wandte Nastasio entsetzt ein.«Das sind Sachen von Wert, Maestro. Tuch aus Flandern, Kamelhaarstoffe, Brokat, feinstes Kambrais, alles von höchster Qualität. Die Dame war immer so elegant gekleidet …»«Trenn ruhig die Spitze und den Pelzsaum ab und verkauf sie», sagte ich starrköpfig,«das Geld ist deins. Kannst auch Ärmel und Knöpfe verkaufen. Den Rest nicht. Schneid sie in Stücke und verbrenn sie, schmeiß sie in die Lagune, mach, wie du denkst, aber keine andere
darf jemals diese Kleider tragen.»Da Nastasio mich noch immer völlig verstört anstarrte, behauptete ich, es seien Teufelskleider, an denen noch der Schwefelgeruch hänge. Das hätte ich nicht sagen, nicht einmal denken dürfen. Doch in jenem Augenblick wollte ich die Vergangenheit auslöschen, nirgends eine Spur zurücklassen, außer in meinem Kopf - wo ich sie neu schreiben, verschönern und wie eine gute Tat erhöhen konnte. Ich wollte mich von diesen Erinnerungen befreien. Vielleicht glaubte ich, noch Zeit genug zu haben, mir andere zu schaffen.
Mein Diener hat meine Anweisungen nicht befolgt. Mariettas Kleider waren noch immer da. Wie ein tollwütiger Hund biss sich meine Sehnsucht nach ihr in meinen Eingeweiden fest. Ich hielt die Stofffigur an den Türflügel und starrte sie benommen an. Ihr Körper zeichnete sich noch immer auf dem roten Kleid ab - die Falten am Knie, die Kurven der Hüfte, die Rundungen ihrer Brüste.
Zwischen den goldenen Schnüren ihres Mieders hing ein blondes Haar. Da, Herr, tauchte ich mein Gesicht in das Kleid. Der Geruch meiner Tochter strömte auf mich ein. Ich weiß keine Erklärung, denn nur das Unantastbare, das Unbewusste und Unsichtbare vermag den Zauber der Rückkehr zu bewirken. Doch Marietta war zurückgekehrt, sie war mir wahrhaftig nahe. Ich umarmte sie. Ich hörte sie in mein Ohr flüstern: Nicht stehen bleiben, wenn du stehen bleibst, hören die Musiker auf zu spielen, weil wir die Letzten sind, alle anderen sind schon fort, wir sind allein, wir haben das Schloss ganz für uns. Aber es ist schon spät, antwortete ich ihr, auch wir müssen jetzt gehen, das Fest ist vorbei. O nein, widersetzte sie sich, solange du da bist, kann das Fest nicht zu Ende gehen.
Ich habe sie in mich aufgesogen, meine Lungen mit ihr gefüllt. Beim Farbezerreiben und Arbeiten mit dem Pinsel riecht Marietta nach Leinenöl, Lack und Ginster. In der Holzkammer riecht sie nach Pinienharz, Aloe und Myrrhe. Wenn sie mitten in der
Nacht in meine Werkstatt hinuntersteigt, um mir zu sagen, dass es spät ist und ich endlich ins Bett gehen soll, und ihre Haare über meinen Mund streifen, riecht sie nach Ingwer, Gewürznelke und Meer. Manchmal bin ich - mit geschlossenen Augen, benebeltem Verstand und sinnverwirrt - auf dem Marktplatz einem Geist gefolgt, nur um ihren Geruch einzuatmen. Doch hier auf dem Dachboden riecht Marietta nach Schimmel, eingesperrt und feucht.
Ich spürte einen bohrenden Blick in meinem Nacken, jemand schien mich zu beobachten. Meine Frau vielleicht. Ich fragte mich, wie lange sie bereits hinter mir stand. Mein rührseliges, sentimentales Verhalten würde ihr bestätigen, dass sie keinen so viel älteren Mann hätte heiraten sollen, der sie zu schnell allein ließ, denn das würde sie mit einer Witwenschaft büßen, die genauso lang wie ihre Ehe dauerte. Aber als ich mich umdrehte, sah ich mitten im Raum mit einer qualmenden Fackel in der Hand die dickleibigen Umrisse Nastasios. Mein Diener ist kleinwüchsig wie ein Zwerg, und wenn er auf seinen kurzen, krummen Beinchen umherläuft, sieht er aus wie eine Strandkrabbe - daher habe ich ihm, kurz nachdem er vor vielen Jahren bei mir angefangen hat, den Spitznamen Schila,«die Krabbe»gegeben. Er hatte meinen langen Mantel aus schwarzem Satin über dem Arm hängen. Was immer Schila durch den Kopf schwirrt,
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