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Titan 01

Titan 01

Titel: Titan 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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vorstellen«, meinte ich. »Ich bin Gerald Lattery.«
    »Natürlich«, nickte sie. Meiner Ansicht nach war das eine befriedigende Antwort, aber dann fügte sie hinzu: »Ich heiße Octavia Lattery – ich werde meist Tavia genannt.«
    Tavia? – Irgendetwas rührte sich in meinem Gedächtnis, aber noch nicht deutlich genug.
    »Sind wir vielleicht irgendwie – verwandt?« fragte ich.
    »Ja – sehr weitläufig«, sagte sie und schaute mich sonderbar an. »Oh, es ist alles so schwierig«, seufzte sie dann und machte Miene, erneut in Tränen auszubrechen.
    »Tavia…?« wiederholte ich, um meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. »Etwas erinnert mich…« Dann tauchte unvermittelt das Bild eines älteren, verlegenen Herrn in meinem Geist auf. »Aber ja, natürlich – wie hat er nur geheißen? Doktor – Doktor Bogey, oder so ähnlich?«
    Sie saß plötzlich ganz still.
    »Doch nicht – nicht Doktor Gobie?« flüsterte sie.
    »Ja, das war’s. Er hat jemanden namens Tavia erwähnt. Sind das Sie?«
    »Er ist doch nicht hier?« fragte sie und schaute sich um, als befürchte sie, er halte sich in irgendeinem Winkel versteckt.
    Ich sagte ihr, daß die Begegnung schon zwei Jahre her sei. Das beruhigte sie etwas.
    »Der arme, alte Onkel Donald. Wie dumm von ihm! Natürlich hatten Sie keine Ahnung, wovon er redete?«
    »Ich habe auch jetzt noch keine«, erklärte ich, »obwohl ich mir vorstellen kann, daß selbst ein alter Onkel sich über Ihr Verschwinden aufregen würde.«
    »Ja. Ich fürchte, das wird er«, sagte sie.
    »Nun, er hat sich wohl inzwischen beruhigt. Es ist schon zwei Jahre her«, erinnerte ich sie.
    »Ach je, Sie verstehen natürlich noch immer nicht, worum es geht, oder?«
    »Hören Sie«, sagte ich. »Mir wird heute am laufenden Band gesagt, daß ich nichts verstünde. Das weiß ich jetzt allmählich – es ist das einzige, was ich wirklich verstehe.«
    »Ja. Ich sollte es Ihnen wohl lieber erklären. Oh, du lieber Himmel, wo soll ich nur anfangen?« Ich ließ sie das in Ruhe überlegen.
    Schließlich sagte sie: »Glauben Sie an Vorherbestimmung?«
    »Eigentlich nicht«, sagte ich.
    »Aha – nun ja, vielleicht ist das nicht der richtige Ausdruck – es ist eher eine Art Anziehung. Sehen Sie, schon seit ich noch ziemlich klein war, hielt ich diese Zeit für die interessanteste und aufregendste – und außerdem war es natürlich auch die Ära, in der die einzige berühmte Person unserer Familie lebte. Deshalb fand ich sie so begeisternd. Romantisch, würden Sie, glaube ich, sagen.«
    »Zu der Ära oder…«, begann ich, aber sie ließ sich nicht unterbrechen.
    »Ich stellte mir die großen Flotten von komischen kleinen Flugzeugen vor, die in den Kriegen sich so tapfer auf den Feind stürzten wie David auf Goliath. Und dann gab es diese riesigen, schwerfälligen Schiffe, die sich langsam durch die Meere wälzten und irgendwie doch ans Ziel kamen, und es machte niemandem etwas aus, daß sie so langsam waren. Und diese ulkigen Schwarzweißfilme; und richtige Pferde auf den Straßen; und diese klapprigen alten Verbrennungsmotoren; und Kohleheizung; und aufregende Bombenangriffe; und Züge, die auf Schienen fuhren; und Telefone, die an Drähten hingen; ach, und noch eine Menge andere herrliche Dinge. Und was man damals alles tun konnte! Wenn man sich das vorstellt – die Premiere eines neuen Shaw‐Stücks besuchen können oder von einem Coward‐Stück, in einem echten Theater! Oder sich einen brandneuen T. S. Eliot kaufen zu können, frisch aus der Druckerei! Oder die Königin auf der Fahrt zur Parlamentseröffnung zu sehen. Eine wunderbare, aufregende Zeit!«
    »Nun, es ist nett, daß jemand so denkt. Unsere eigene Meinung über die Ära ist natürlich etwas…«
    »Klar, das ist ja zu erwarten. Sie haben nicht den richtigen Abstand, um Ihre Zeit schätzen zu können. Es würde Ihnen guttun, eine Weile in unserer zu leben, denn dann würden Sie sehen, wie farblos und eintönig alles ist – langweilig, einfach gräßlich langweilig.«
    Ich war etwas durcheinander. »Ich glaube nicht, daß ich ganz… Was haben Sie gesagt?«
    »Daß Sie in unserem Jahrhundert leben müßten. Im zweiundzwanzigsten. Ach Gott, das können Sie natürlich nicht wissen. Wie dumm von mir.«
    Ich beschränkte mich darauf, Tee nachzuschenken.
    »Ach je, ich wußte ja, es würde schwierig sein«, bemerkte sie. »Meinen Sie nicht auch?«
    Ich sagte, ich könnte ihr nur zustimmen. Entschlossen fuhr sie fort:
    »Nun, sehen Sie,

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