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Titan 01

Titan 01

Titel: Titan 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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dem Schluchzen war jetzt nichts mehr zu hören, nur ein schmeichelnder Singsang. Er öffnete die Tür einen Spalt weit und bemühte sich – Brodericks Anweisung vergessend –, irgendein tröstendes Wort zu finden. Aber sie blickte sich nicht einmal um. Ihr Gesicht war dicht über das des Roboters gebeugt, und sie murmelte ihm Koseworte zu.
    »Nein, nein, das werden sie nicht tun. Nicht mit meinem lieben, kleinen Roboter. Meinem einzigen kleinen Buben. Ich werde es nicht zulassen. Dr. Broderick versteht es. Er wird nicht zulassen, daß dir der böse alte Mann etwas tut. Und du wirst für immer zu mir gehören. Immer. Du wirst nie älter werden und nie gemein zu mir sein. Keine andere Frau wird dich bekommen, weil du nie erwachsen wirst, nie von mir fortzugehen brauchst. Du wirst immer so bleiben, wie du jetzt bist. Mein lieber, kleiner Junge, mein süßer kleiner Robotjunge, der ganz mir allein gehört! Nicht wahr, Jimmy?«
    »Ganz dir allein, Mama«, antwortete der Roboter, und seine kleine Hand legte sich tröstend auf ihr Haar. »Und ich werde immer so bleiben wie jetzt.«
    Sie kicherte glücklich. »Schön. Sag mir, was ist ein Roboter, mein Süßer?«
    »Ein Roboter ist eine ganz besondere Art von kleinem Jungen, Mama«, gurgelte die Maschine vergnügt. »So wie ich, denn ich hab’ dich ganz besonders lieb.«
    »Und was ist eine Mama?« fragte sie.
    Henry schloß leise die Tür, die Worte verschwammen, aber die Stimmen redeten weiter und weiter und hielten ihn fest, bis Broderick heraufkam, ihn in die Küche hinunterführte und noch einen Drink in die Hand drückte. »Da ist noch Jimmy«, erinnerte der Psychotherapeut. »Selbstmord ist keine Lösung für dieses Problem, Henry!«
    Er war sich gar nicht bewußt gewesen, daß er daran gedacht hatte, aber der Mann hatte recht. »Jimmy.« Der Name kam seltsam rauh über seine Lippen. »Sie können ihm die Erinnerung an das auslöschen, nicht?«
    Broderick nickte. »Das werden wir natürlich tun. Wir tun alles, um sicherzugehen, daß unsere zukünftigen Bürger nicht für die Sünden ihrer Väter büßen. Aber können Sie vergessen, Henry? Wenn auch nur eine Chance von eins zu hundert besteht, daß Maryl geheilt werden kann – würden Sie vergessen können, was geschehen ist, und Ihrer Familie ein neues Leben aufbauen?«
    Henrys Blick blieb an Brodericks Gesicht hängen. Therapie, dachte er.
    Das gehört alles zur Therapie, daß man den Patienten mit irgendwelchen Versprechungen beruhigt, bis er richtig behandelt werden kann.
    Diesmal schüttelte Broderick den Kopf, als hätte er wiederum Henrys Gedanken gelesen. »Es wird Sie Ihren letzten Cent kosten, Henry. Sie werden in eine andere Stadt ziehen müssen, wo niemand Sie kennt, Sie werden sich eine neue Wohnung und einen neuen Job suchen müssen. Sie werden ganz von vorne anfangen müssen. Und keine Roboter. Absolut nichts aus dem alten Leben. Wir haben zwar neue Methoden, aber sie sind unvollkommen und riskant. Psychotherapie ist immer unvollkommen. Sie werden Unterschiede bemerken.«
    »Für Maryl…«, sagte Henry erschüttert.
    Broderick unterbrach ihn. »Nein, für Jimmy. Alles, was ich Ihnen versprechen kann, ist, daß wir nichts zulassen werden, das seine Zukunft gefährden könnte. Wir möchten, daß Sie und Maryl glücklich werden, aber das ist Ihre Sache. Wenn es nicht klappt,
    werden Sie darunter zu leiden haben. Nun?«
    »Wann?« fragte er.
    »Wann immer Sie bereit sind, Henry. Wir werden getan haben, was wir tun können, bevor Sie noch eine neue Stelle gefunden und sich eingerichtet haben.«
    Er dachte darüber nach, suchte nach dem Haken. Vielleicht wollten sie ihm das Leben schwer machen, ihn zwingen, einen Job ohne alle Chancen anzunehmen, mit dem er nicht genug verdienen konnte, um eine Frau und einen Sohn zu erhalten. Dann konnten sie Maryl mit ihrem Roboter in eine Anstalt stecken und Jimmy nach ihren kalten, wissenschaftlich‐vernünftigen Vorstellungen aufziehen. Dann war er ihnen nicht mehr im Weg und konnte sich auch nicht mehr auf die Persönlichen Privilegien berufen. Und seine Therapie würde aus einer langsamen Anpassung an ein aussichtsloses Leben bestehen, ein Leben, das langsam alle Hoffnungen auf eine Zukunft erstickte.
    Er hatte undeutlich vor sich hin gemurmelt, aber Broderick mußte doch einiges mitbekommen haben. Der Therapeut grinste. »Nein, Henry. Sie werden noch Geld übrig haben – genug, um sich neu einzurichten. Und Sie kennen sich im Geschäftswesen zu gut aus, um in

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