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Titan 05

Titan 05

Titel: Titan 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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niedergeschlagenem Blick auf der Kanzel stehen, bis Gehüstel und Füßescharren anzeigten, daß die Gemeinde ungeduldig wurde. Schließlich richtete er sich auf, nahm seine Papiere vom Pult und hörte sich aus dem siebenundzwanzigsten Psalm zitieren: »Der Herr ist mein Licht und mein Heil; wen soll ich fürchten?«
    Die Worte waren nicht laut gesprochen, aber er merkte, daß sie durch ihre Zeitgemäßheit stark auf die Gemeinde wirkten. »Und lagert sich ein Heer um mich, mein Herz bleibt unerschrocken. Erhebt sich gegen mich ein Kampf, auch dann bin ich getrost.« Die Luft schien elektrisch geladen, wie sie es vor langer Zeit gewesen war, als er sich in direkter Verbindung mit Gott gewähnt hatte, und in den Kirchenbänken war es ganz still, als er schloß: »So hoffe auf den Herrn! Sei nur getrost und guten Mutes und hoffe auf den Herrn!«
    Die Wärme mystischer Erleuchtung dauerte an, als er schweigend die Kanzel verließ. Dann wurde draußen Motorengeräusch laut, und jemand schlug heftig gegen die Kirchentür. Das Gefühl verschwand.
    Jemand stand auf und öffnete, und grelles Tageslicht drang herein, zusammen mit einem trockenheißen Lufthauch, der einen weiteren Staubsturm anzukündigen schien, und dem Schnarren von Grillen vor dem Kircheneingang, um die Versammelten an die Mißernte zu erinnern. Amos sah Bitterkeit und Niedergeschlagenheit in die Gesichter zurückkehren, noch ehe die Gemeindemitglieder die gedrungene kleine Gestalt Dr. Alan Millers bemerkten.
    »Amos! Hast du gehört?« Er schnaufte, als ob er gerannt wäre. »Es wurde gerade im Radio durchgegeben, während du hier drinnen deinen Sermon…«
    Seine Stimme ging in erneutem Motorenlärm unter. Eine Militärkolonne raste in westlicher Richtung durch die einzige Hauptstraße von Wesley. Alle Soldaten trugen Kampfanzüge, Stahlhelme und Waffen, und die Kolonne jagte mit mörderischer Geschwindigkeit durch den Ort, eingehüllt in wirbelnde graue Staubwolken. Dr. Miller begann zu husten und fluchte. In den letzten Jahren hatte er seinen Atheismus immer offener verfochten; als Amos ihn während seines ersten Pastorats kennengelernt hatte, hatte der Mann wenigstens einen gewissen Respekt vor der Religion anderer gezeigt.
    »Ich muß doch bitten!« sagte Amos scharf. »Du bist im Haus Gottes, Doc. Was wurde im Radio gemeldet?«
    Miller fing sich und unterdrückte seinen Hustenanfall. »Tut mir leid. Aber stell dir vor, die Fremden sind in Clyde gelandet, nur fünfzig Meilen von hier. Sie sollen dort schon einen Brückenkopf errichtet haben! Das ist, was all diese Tiefflüge bedeuteten!«
    Unruhe entstand im Kirchenraum, aber Amos nahm sie nur mit einem Teil seines Bewußtseins zur Notiz. Bevor er wieder hierhergekommen war, hatte er in Clyde gedient. Er versuchte sich vorzustellen, wie die fremden Schiffe dort niedergingen und die kleine Stadt mit Gas, Feuer und Raketen dem Erdboden gleichmachten. Der Krämer an der Ecke mit seinen neun Kindern, der lahme Kirchendiener, der dort seinen Dienst versehen hatte, die beiden Aimes‐Schwestern mit ihren zahlreichen Hunden und Katzen und ihrem ständigen Kreuzzug gegen die sündige Jugend… er versuchte sich auszumalen, wie die grünhäutigen, humanoiden Fremden durch die verwüstete Stadt zogen, in die Kirche eindrangen und den Altar entweihten. Und er dachte an Anne Seyton, die Richards Verlobte gewesen war, obwohl sie einer anderen Glaubensgemeinschaft angehört hatte…
    »Ist bekannt, was aus der Garnison dort geworden ist?« rief ein stämmiger Farmer über die Köpfe der Gemeindemitglieder hinweg dem Arzt zu. »Einer meiner Jungen ist dort, und als ich das letzte Mal mit ihm sprach, sagte er mir, sie würden mit landenden Schiffen schon fertig! Sie hätten Flugzeugabwehrraketen, und wenn die dicken Schiffe herunterkämen…«
    Miller schüttelte den Kopf. »Eine halbe Stunde vor der Landung kamen Tiefflieger und belegten die Garnison mit Bomben und Raketen. Was dann geschah, weiß ich nicht; jedenfalls scheinen sie gelandet zu sein.«
    »Jim!« Der bullige Farmer brüllte den Namen wie ein verwundeter Stier, dann erhob er sich mit Gepolter und arbeitete sich, seine zerbrechlich aussehende Frau mit sich zerrend, aus der Kirchenbank, um zu seinem Wagen hinauszueilen. »Wenn sie Jim erwischt haben…«
    Andere verließen die Kirche mit ihm, aber eine neue Fahrzeugkolonne verzögerte ihren Aufbruch. Diese Kolonne fuhr langsamer, denn sie bestand zum größten Teil aus rasselnden Kettenfahrzeugen und

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