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Titan 06

Titan 06

Titel: Titan 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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Betrieb zu nehmen. Es gab keine andere Möglichkeit.«
    »Wirklich? Weshalb nicht?«
    »Das Land war wirtschaftlich von den Straßen abhängig geworden. In den Industriegebieten waren sie praktisch das einzige Transportmittel – das einzig wirtschaftlich tragbare. Fabriken mußten schließen, Nahrungsmittellieferungen blieben liegen, die Leute bekamen den fehlenden Nachschub zu spüren – und der Präsident mußte die Straßen wieder rollen lassen. Es war das einzige, was er tun konnte. Die Wirtschaft hatte sich auf ein bestimmtes Schema spezialisiert und konnte nicht über Nacht umdisponieren. In dicht besiedelten Industriegebieten muß es leistungsfähige Transportmittel geben, nicht nur für Menschen, sondern auch für Güter.«
    Mr. Blekinsop spielte mit seiner Serviette und bemerkte mit einem gewissen Unbehagen: »Mr. Gaines, ich möchte keinesfalls die großartigen Errungenschaften Ihres Volkes schmälern, aber ist es nicht so, daß Sie, wie wir sagen, zu viele Eier in einen Korb gepackt haben, als Sie es dazu kommen ließen, daß Ihre gesamte Wirtschaft vom Funktionieren eines einzigen Maschinentyps abhängig wurde?«
    Gaines bedachte das so sachlich er konnte. »Ich verstehe, was Sie meinen. Ja – und nein. Jede Zivilisation, die sich über das einfache Dorfleben hinaus entwickelt hat, ist von einem bestimmten Maschinentyp abhängig. In den Südstaaten war es die Baumwollegreniermaschine. Das England des Imperiums wurde durch die Dampfmaschine groß. Bei dichter Bevölkerung sind Maschinen zur Energieerzeugung, für das Transportwesen und für die Produktion lebensnotwendig. Ohne Maschinen hätte keine Bevölkerung richtig wachsen können. Das ist kein Nachteil der Maschine, sondern ihre Tugend.
    Es stimmt aber, daß wir, wenn der hohe Lebensstandard von vielen Menschen erst einmal von den Maschinen abhängt, gezwungen sind, sie in Gang zu halten, oder einen Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft in Kauf zu nehmen. Die eigentliche Gefahr liegt jedoch nicht bei den Maschinen, sondern bei den Menschen, die die Maschinen betreuen.
    Wenn ein Volk sich auf seine Maschinen verläßt, dann ist es den Männern ausgeliefert, die für diese Maschinen verantwortlich sind. Wenn diese Leute nicht eine hohe Arbeitsmoral und ein strenges Pflichtbewußtsein…«
    Irgend jemand weiter vorn im Restaurant hatte das Radio voll aufgedreht, so daß Geines’ Stimme in einem Dröhnen von Musik unterging. Als die Lautstärke wieder auf ein erträglicheres Maß zurückgedreht worden war, sagte er:
    »Hören Sie sich das an. Das wird Ihnen vielleicht klarmachen, was ich meine.«
     
    *
     
    Blekinsop richtete seine Aufmerksamkeit auf die Musik. Es war ein flotter Marsch von mitreißendem Rhythmus und moderner Instrumentierung. Das Dröhnen und Klappern von Maschinen untermalte die Melodie. Der australische Minister lächelte befriedigt, als er sie wiedererkannte.
    »Das ist doch ein alter Artilleriemarsch, nicht? Ich kann nur keinen Zusammenhang erkennen.«
    »Sie haben recht, es war ein Artilleriemarsch, aber wir haben ihn unserem Zweck angepaßt. Er heißt jetzt auch ›Gesang der Straßenkadetten‹. Warten Sie!«
    Das beharrliche Pulsieren des Marsches schien mit dem Vibrieren des Transportbandes drunten zu verschmelzen. Schließlich setzte ein Männerchor mit dem Text ein.
     
    »Hört sie grollen!
    Seht sie rollen!
    Nie ist unser Job getan,
    an der ewig roll’nden Bahn!
     
    LASST SIE ROLLEN!
     
    Schnell und sicher
    kommt ihr weiter,
    denn unter euch wachen
    die Straßenarbeiter!
     
    LASST SIE ROLLEN!
     
    Wir prüfen Rotor
    und jeden Motor!
    Wir drunten wollen,
    daß die Straßen rollen!
     
    LASST SIE ROLLEN!
     
    Wohin ihr auch wollt,
    ihr wissen sollt,
    daß die Straßen rollen,
     
    IMMERFORT ROLLEN!«
     
    »Verstehen Sie jetzt?« sagte Gaines lebhafter als zuvor. »Sehen Sie, das ist der eigentliche Zweck der US-Akademie für Transport. Das ist der Grund, warum die Ingenieure des Transportwesens eine halbmilitärische Gemeinschaft mit strenger Disziplin sind. Wir sind der Angelpunkt, das sine qua non der gesamten Industrie und Wirtschaft. In anderen Industriezweigen kann gestreikt werden, ohne daß dauerhafte oder schwerwiegende Auswirkungen zu befürchten sind. Es kann auch hie und da Mißernten geben, aber das Land als Ganzes wird damit fertig. Wenn aber die Straßen einmal nicht mehr rollen, kommt auch alles andere zum Stillstand; die Wirkung wäre dieselbe wie bei einem lückenlosen Generalstreik – mit einem

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