Titan 11
Oliver.«
Er starrte sie an. »Ich wünschte, du würdest es mir erklären.«
Kleph lachte eher mitleidig als amüsiert. Aber es kam Oliver vor, als schwinge nun keine Herablassung mehr in ihrer Stimme mit. Fast unmerklich war jene leichte Erheiterung, mit der sie ihn betrachtet hatte, verflogen. Diese kühle Reserviertheit, die Omeries und auch Klias Benehmen bestimmte, hatte sich bei Kleph gelegt. Diese Regung war so subtil, daß sie sie ihm nicht vorheucheln konnte. Sie mußte jemanden spontan oder überhaupt nicht überkommen. Und aus einem Grund, den er nicht willens war zu überprüfen, war es Oliver plötzlich sehr wichtig, daß Kleph nicht auf ihn herabsah, sondern für ihn genau das empfand, was er für sie fühlte. Doch er wollte nicht darüber nachdenken.
Er betrachtete seine Tasse aus Rosenquarz, aus deren winziger Öffnung ein dünner Dampffaden kräuselte. Diesmal, so dachte er, konnte er vielleicht den Tee für sich arbeiten lassen. Denn er erinnerte sich daran, wie er die Zunge löste, und er mußte noch einiges in Erfahrung bringen. Die Idee, die ihm in dem Augenblick der stillen Rivalität zwischen Kleph und Sue auf der Veranda gekommen war, kam ihm nun zu fantastisch vor, um wahr zu sein. Doch irgendeine Antwort mußte es geben.
Kleph begann das Gespräch.
»Ich darf heute nachmittag nicht allzuviel von dem Euphoriasikum zu mir nehmen«, sagte sie und lächelte ihn über ihre rosarote Tasse hinweg an. »Es macht mich schläfrig, und wir wollen heute abend mit Freunden ausgehen.« »Noch mehr Freunde aus deinem Land?« fragte Oliver. Kleph nickte. »Sehr gute Freunde, die wir schon die ganze Woche erwartet haben.«
»Ich wünschte, du würdest mir erzählen«, sagte Oliver geradeheraus, »woher du kommst. Auf keinen Fall von hier. Eure Kultur unterscheidet sich zu sehr von der unsrigen… sogar eure Namen…« Er brach ab, als Kleph den Kopf schüttelte.
»Ich wünschte, ich könnte es dir sagen. Aber das würde gegen alle Regeln verstoßen. Es ist schon gegen die Regeln, daß ich mich hier mit dir unterhalte.«
»Welche Regeln?«
Sie machte eine hilflose Geste. »Du darfst mich nicht danach fragen, Oliver.« Sie lehnte sich auf ihrer bequemen Chaiselongue zurück, die sich sofort der veränderten Körperhaltung anpaßte, und schenkte ihm ein herzliches Lächeln. »Wir dürfen über solche Dinge nicht sprechen. Vergiß es, lausche der Musik, genieße den Augenblick, wenn du kannst.« Sie schloß die Augen und lehnte sich gegen die Vorhänge zurück. Oliver bemerkte, wie ihr sanft gerundeter Kehlkopf etwas anschwoll, als sie eine Melodie zu summen begann. Die Augen noch geschlossen, sang sie den Text, den sie schon auf der Treppe gesungen hatte. »Liebe , o kom m z u mir…«
Plötzlich klickte eine Erinnerung in Olivers Gehirn. Er hatte diese seltsame, langsame Melodie nie zuvor gehört, doch er glaubte, den Text zu kennen. Er erinnerte sich daran, was Hollias Mann gesagt hatte, als er diese Zeile hörte, und beugte sich vor. Sie würde einer direkten Frage nicht antworten, aber vielleicht…
»War das Wetter in Canterbury wirklich so warm?« fragte er und hielt den Atem an. Kleph summte eine weitere Zeile des Liedes und schüttelte den Kopf, die Augen noch immer geschlossen.
»Es war Herbst dort«, sagte sie. »Aber so hell, so wunderbar hell. Sogar ihre Kleider, weißt du… jeder sang dieses neue Lied, und ich kann es einfach nicht aus meinem Kopf vertreiben.« Sie sang eine weitere Zeile, bei der die Worte fast unverständlich waren – zwar Englisch, doch kein Englisch, das Oliver verstehen konnte.
Er stand auf. »Warte«, sagte er. »Ich will etwas herausfinden. Bin in einer Minute zurück.«
Sie öffnete die Augen und lächelte ihn geheimnisvoll an, immer noch die Melodie summend. Er sprang so schnell er konnte die Stufen hinab – sie schwankten ein wenig, obwohl sein Kopf nun wieder fast gänzlich klar war – und lief zur Bibliothek. Das Buch, das er suchte, war schon alt und arg mitgenommen, bekritzelt mit Notizen aus seiner Studentenzeit. Er erinnerte sich nicht genau, welche Passage er suchte, überschlug schnell ein paar Kapitel und fand sie durch reinen Zufall schon nach wenigen Minuten. Dann lief er schnell wieder hinauf. In seinem Magen herrschte eine seltsame Leere, denn er war nun geneigt, seiner Vermutung fast Glauben zu schenken.
»Kleph«, sagte er steif, »ich kenne dieses Lied. Und ich weiß auch, in welchem Jahr es neu war.«
Sie hob langsam die Lider,
Weitere Kostenlose Bücher