Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Titan 11

Titan 11

Titel: Titan 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova , Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
fehlte, und auch ihre Bilder. Das Zimmer sah so aus, wie es ausgesehen hatte, bevor sie kam – bis auf eins.
    In der entgegengesetzten Ecke stand ein Tisch, ein Gebilde aus durchsichtiger Materie, der ein sanftes Licht ausstrahlte. Davor saß ein Mann auf einem niedrigen Stuhl, beugte sich vor, die schweren Schultern umrißhaft gegen das Glühen abgehoben. Er trug Kopfhörer und kritzelte hastig Notizen auf einen Block auf seinen Knien und schaukelte ein wenig, wie zu den Klängen einer unhörbaren Musik.
    Die Vorhänge waren zugezogen, doch von draußen erklang ein fernes, gedämpftes Lärmen, an das sich Oliver aus seinem Alptraum erinnerte. Er legte eine Hand auf seine Stirn und fühlte eine fiebrige Hitze; das Zimmer drehte sich langsam vor seinen Augen. Sein Kopf tat weh, und in jedem Glied und Nerv verspürte er ein schmerzhaftes Ziehen.
    Als das Bett knackte, fuhr der Mann in der Ecke herum; die Kopfhörer glitten ihm in den Nacken. Über einem kurzgeschnittenen schwarzen Bart sah er ein ausgeprägtes Gesicht. Der Mann musterte ihn aufmerksam. Oliver hatte ihn nie zuvor gesehen, doch jener Hauch, den Oliver inzwischen so gut kannte, umgab auch ihn, jene Reserviertheit, die aus dem Wissen stammte, daß wie ein Abgrund die Zeit selbst zwischen ihnen lag.
    Als er sprach, klang seine Stimme unpersönlich, aber freundlich. »Sie haben zu viel von dem Anregungsmittel zu sich genommen, Wilson«, sagte er ohne jede Spur von Mitgefühl. »Sie haben lange geschlafen.« »Wie lange?« als er sprach, fühlte Oliver ein Kratzen in der Kehle.
    Der Mann gab keine Antwort. Oliver schüttelte vorsichtig den Kopf. »Ich dachte, Kleph hätte gesagt, daß man davon keinen Kater bekommt«, meinte er. Dann unterbrach ein anderer Gedanke den ersten, und er fügte schnell hinzu: »Wo ist Kleph?« Verwirrt sah er zur Tür.
    »Sie müßte inzwischen in Rom sein. Sie beobachtet dort die Krönung von Karl dem Großen, am Weihnachtstag vor mehr als eintausend Jahren in der St. Peterskirche.«
    Diesen Gedanken konnte Oliver nicht leicht verarbeiten. Sein schmerzendes Gehirn schrak davor zurück; ihm kam das Denken an sich schon seltsam problematisch vor. Als er den Mann anstarrte, kam ihm ein grausamer Gedanke.
    »Sie sind also gegangen – aber Sie sind hiergeblieben? Warum? Sie… Sie sind Cenbe? Ich habe Ihre… Symphonie gehört, wie Kleph sie genannt hat.«
    »Sie hörten einen Teil davon. Ich habe sie noch nicht fertiggestellt. Ich brauchte – das.« Cenbe nickte mit dem Kopf auf die Vorhänge, hinter denen noch immer das Wehklagen der Stadt zu hören war.
    »Sie brauchten… den Meteor?« Das Wissen darum arbeitete sich schmerzhaft durch seinen benommenen Verstand, bis es auf ein Gebiet stieß, das noch nicht vom Schmerz betroffen war und noch klar denken konnte. »Den Meteor? Aber…«
    Als Cenbe die Hand hob, lag solch eine Macht in dieser Geste, daß Oliver wieder zurück aufs Bett sank. »Das Schlimmste ist nun vorüber«, erklärte Cenbe geduldig. »Zumindest für eine Weile. Vergessen Sie es, wenn Sie können. Es ist schon Tage her. Ich sagte doch, daß Sie lange geschlafen haben. Ich ließ Sie ruhen. Ich wußte, daß dieses Haus sicher war – zumindest vor dem Feuer.«
    »Dann… wird noch etwas anderes folgen?« murmelte Oliver. Er war nicht sicher, ob er eine Antwort hören wollte. So lange war er wißbegierig gewesen, doch nun, da das Wissen fast in seiner Reichweite lag, schien sich in seinem Gehirn etwas zu weigern, dem Mann zuzuhören. Vielleicht war es diese Müdigkeit, dieses Fieber, diese Mattigkeit, die vorübergehen würde, wenn die Wirkung des Anregungsmittels nachließ.
    Cenbe fuhr mit weicher, nachdrücklicher Stimme fort, beinahe so, als ob er nicht wollte, daß Oliver nachdenke. Es war leichter für ihn, einfach hier zu liegen und zu lauschen.
    »Ich bin Komponist«, sagte Cenbe. »Ich bin zufällig daran interessiert, gewisse Formen des Unglücks in meinen eigenen Mustern zu interpretieren. Deshalb bleibe ich noch. Die anderen sind Dilettanten. Sie kamen wegen dem ungewöhnlichen Maiwetter und dem Unglück. Warum sollen sie auf das Nachspiel warten? Was mich selbst betrifft – ich glaube, ich bin ein Kenner, ein Feinschmecker. Ich halte das Nachspiel für recht faszinierend. Und ich benötige es. Für meine eigenen Zwecke muß ich es aus erster Hand studieren.«
    Sein scharfer Blick ruhte eine Weile auf Oliver. Er war wie der eines Arztes, unpersönlich und beobachtend. Geistesabwesend griff er nach

Weitere Kostenlose Bücher