Titan 11
hohes, heiseres, ärgerliches Gelächter. Dann atmete jemand aus der Menge im Zimmer erschrocken ein, und ein Chor ungläubiger Stimmen erklang. Oliver versuchte, sich auf das Fenster und das dahinterliegende Bild des Schreckens zu konzentrieren, doch er war nicht dazu in der Lage.
Oliver mußte mehrmals blinzeln, um sich davon zu überzeugen, daß er nicht mehr sehen konnte. Kleph jammerte leise und schmiegte sich an ihn. Nun konnte er zumindest etwas berühren und sich sicher sein, daß es wirklich existierte, obwohl alles andere, was er diese Nacht erlebt hatte, nur ein Traum sein konnte. Als er ihr Parfum und den in den Kopf steigenden Duft der Teerosen einsog und er sie für einen Moment in einer Umarmung hielt, die mit Sicherheit die letzte sein würde, die ihm vergönnt war, kümmerte er sich nicht darum, daß auf schreckliche Weise etwas mit der Luft im Zimmer, die ihn umgab, nicht stimmen konnte. Er war blind – jedoch nicht fortwährend. Die Blindheit kam in sanften, sich immer mehr ausbreitenden Wogen, zwischen denen er einen Schimmer von den anderen Gesichtern im Zimmer auffing, die verzerrt und erstaunt im flackernden Licht der Stadt dreinblickten.
Die Wogen kamen nun schneller. Zwischen ihnen blieb nur noch ein kurzes Blinzeln, das kürzer und kürzer wurde, während die Intervalle der Dunkelheit sich vergrößerten.
Das Gelächter aus der Parterre klang erneut die Treppe hoch. Oliver glaubte, die Stimme zu erkennen. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, doch bevor er Worte finden konnte, schlug die Tür neben ihm, und Omerie schrie etwas die Stufen hinab.
»Hollia?« überschrie er das Röhren der Stadt. »Hollia, bist du das?« Erneut lachte sie triumphierend. »Ich habe euch gewarnt!« schrie ihre harte, heisere Stimme. »Nun gesellt euch zu uns auf der Straße, wenn ihr noch etwas sehen wollt!«
»Hollia!« brüllte Omerie verzweifelt. »Hör damit auf, oder…«
Sie lachte spöttisch. »Oder was, Omerie? Diesmal habe ich es zu gut versteckt – kommt auf die Straße, wenn ihr den Rest noch sehen wollt.«
Ärgerliches Schweigen herrschte im Haus. Oliver spürte, wie Klephs hastige, aufgeregte Atemzüge seine Wange kitzelten, fühlte das leichte Zittern ihres Körpers in seinen Armen. Er versuchte bewu゚t, diesen Moment andauern zu lassen, ihn zur Ewigkeit auszudehnen. Alles war einfach zu schnell geschehen, um nachhaltige Eindrücke in seinem Verstand hervorzurufen – bis auf das, was er ber・re n und in seinen Armen halten konnte. Er hielt sie in einer sanften, lockeren Umarmung, obwohl er sich nach einem festen, verzweifelten Griff sehnte, denn er war sicher, daß dies die letzte Umarmung sein würde, die sie miteinander teilen konnten.
Das verwirrende Spiel von Licht und Blindheit fuhr fort. Aus weiter Ferne rollte das Tosen der brennenden Stadt heran, zusammengehalten von den langgezogenen Kadenzen der Sirenen, die alle Geräusche zu einem einzigen verschmolzen.
Dann klang in der verwirrenden Dunkelheit eine andere Stimme aus dem Parterre herauf. Die Stimme eines Mannes, sehr tief, sehr melodisch.
»Was ist hier los?« fragte sie. »Was tust du dort? Hollia – bist du das?«
Oliver fühlte, wie sich Kleph in seinen Armen versteifte. Sie hielt den Atem an, sagte aber nichts, als schwere Füße die Treppe heraufstiegen, mit soliden, zuversichtlichen Schritten näherkamen, die das ganze Haus zu erschüttern schienen.
Dann riß Kleph sich mit einer harten Bewegung aus Olivers Griff los. Er hörte ihre hohe, aufgeregte Stimme rufen: »Cenbe! Cenbe!«, und sie lief los, um den Neuankömmling inmitten der Wellen des Lichts und der Dunkelheit zu begrüßen, die das arg mitgenommene Haus durchfluteten.
Oliver schwankte ein wenig und ertastete eine Stuhllehne. Er sank auf den Stuhl nieder und hob die Tasse an die Lippen, die er noch immer umklammert hielt. Die warmen Dämpfe befeuchteten sein Gesicht, und er konnte die winzige Öffnung kaum ausmachen.
Er hob die Tasse mit beiden Händen und trank.
Als er die Augen öffnete, war es dunkel im Zimmer. Bis auf ein dünnes, melodisches Summen fast an der Schwelle des Hörbaren war es auch still. Oliver bekämpfte die Erinnerung an einen monströsen Alptraum, verdrängte sie resolut aus seinem Bewußtsein und setzte sich auf; ein unvertrautes Bett krächzte und schwankte unter ihm.
Es war Klephs Zimmer. Aber nein – nun nicht mehr. Ihre leuchtenden Gobelins waren von den Wänden genommen, die Chaiselongue war verschwunden, der Teppich
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